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Die Frau im Tal

Die Frau im Tal

Titel: Die Frau im Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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allem, was geschehen ist, nicht auf dem Podium sitzen und lustig auf die Tasten klopfen. Die Trauer wird noch dasein. Ich habe Rondos noch nie gemocht.
    »Rachmaninow«, sage ich.
    »Brahms«, erwidert sie bestimmt, als wolle sie nicht hören, was ich gesagt habe. »Das war wie gesagt dein Wunsch. Ich und W. Gude, wir haben uns für dich stark gemacht. Wir haben uns gegen die Programmacher der Philharmonie durchgesetzt. Du warst eigentlich für das Konzert Neue Talente vorgesehen. Aber da wäre das Konzert von Brahms zu lang gewesen. Es ist über zehn Minuten länger als die üblichen Klavierkonzerte. Du weißt, daß es ein Monstrum ist. Aber du hast es selbst gewählt. Und was haben wir erreicht? Daß du ein eigenes Konzert gibst, mit de Burgos persönlich als Dirigenten. Mein guter Freund mit dem wundervollen After-shave. Vorgesehen sind außerdem Borodins ›Steppenskizzen aus Mittelasien‹ und die fünfte Sinfonie von Sibelius. Das kann man mit Fug und Recht als großartiges Programm bezeichnen.«
    »Da paßt Rachmaninow besonders gut dazu.«
    Sie schaut mich verwirrt an, weiß offensichtlich nicht mehr, welche Strategie sie wählen soll.
    »Was soll denn dieser verrückte Einfall?« sagt sie schließlich. »Von welchem der Rachmaninow-Konzerte sprichst du eigentlich?«
    »Nummer zwei.«
    »Nummer zwei?« sagt sie entrüstet. »Das ist viel zu bekannt. Zu Tode gespielt. Wenn, dann das dritte.«
    »Nein, das ist eine andere Geschichte.«
    »Welche Geschichte?«
    »Frag mich nicht. Du würdest es ohnehin nicht verstehen.«
    Da erhebt sie sich, kommt langsam auf mich zu, fordernd und furchteinflößend. Ich werde verlegen, weiß nicht, wohin ich schauen soll. Mit Daumen und Zeigefinger nimmt sie mein Kinn, drückt kräftig zu, wie ein zorniger Vater seine vierjährige, ungehorsame Tochter anfaßt, um sie zu rügen.
    »Wir haben etwas vor mit dir, W. Gude und ich«, sagt sie. »Du wirst uns jetzt nicht enttäuschen. Du bist selbst daran interessiert, wieder auf die Beine zu kommen. Wir haben dir den Sommer gelassen. Das muß genügen. Kirkenes? Was für ein Unsinn. Rachmaninow? Genauso daneben. Du wirst der jüngste Pianist in der Geschichte sein, der Brahms’ B-Dur interpretiert, den Kaiser unter den Konzerten. Deine Interpretation wird in jedem Fall neue Maßstäbe setzen. Ich weiß, wozu du imstande bist, was du leisten kannst. Glaubst du, ich könnte dich freiwillig aufgeben? Du bist nach wie vor mein Aksel Vinding, kapiert? W. Gude und ich haben gemeinsam eine Konzertfolge zusammengestellt, von der du als Neunzehnjähriger nur träumen kannst. Du wirst im Herkules-Saal in München spielen, im Châtelet in Paris, in der Wigmore Hall in London. Da setzt du dich nicht ins Flugzeug nach Kirkenes, wenn es da oben überhaupt Flugplätze gibt. Du setzt dich in den Zug nach Wien oder nach Paris.«
    »Ich muß nach Kirkenes«, sage ich trotzig und schiebe ihre Hand weg. »Und du wirst mich nicht daran hindern.«
    Sie möchte mich schlagen, wie vor einem Jahr schon einmal. Im letzten Augenblick besinnt sie sich. Sie steht mitten im Zimmer und zeigt auf mich.
    »Du gehst jetzt nicht«, sagt sie warnend.
    »Ich gehe, wann ich will«, sage ich.
    Ich erhebe mich. Sie glaubt nicht, daß ich es tun werde. Aber ich tue es.
    Da hält sie mich auf, faßt meine Hand, legt sie auf ihre Brust.
    »So kann es zwischen uns werden«, sagt sie bestimmt.

    Ich schiebe die Hand weg, habe Angst, sie zu sehr zu verletzen.
    In ihren Augen ist Haß.
    »Deine Aussichten sind glänzend.«
    »Welche Aussichten?«
    »Du gehörst zu den Besten. Die richtigen Personen glauben an dich. Begreifst du denn nicht, was geschehen wird, wenn du uns im Stich läßt?«
    »Dann muß ich sehen, wie ich selbst am besten klarkomme.«
    »Eben.«
    »Darauf bin ich vorbereitet«, sage ich.

    Ich gehe hinaus in den Flur, wo Torfinn Lynge von der Tür zurückspringt und seine Brille putzt.
    »Um Himmels willen«, sagt er. »Ist die Stunde schon vorbei?«
    »Ja«, sage ich.
    »Sei nachsichtig mit ihr«, sagt er leise. »Selma ist heute etwas aus dem Konzept.«
    »Sie ist genau wie immer«, sage ich.
    Draußen auf der Straße spüre ich ihre Blicke imRükken. Da winke ich, ihr zuliebe. Sie war so sicher, daß sie mich hat, daß ich vor ihr in die Knie gehe und sie anflehe, weitermachen zu dürfen. Etwas in der Richtung muß sie erwartet haben. Wir waren wie ein altes Ehepaar. Wir hatten uns gute und schlechte Tage versprochen. Jetzt winke ich, verabschiede mich von dem

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