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Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau in Rot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot S. Baumann
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sie den gelben Umschlag ungeöffnet neben das Telefon und schlurfte in ihr Zimmer zurück. Ein Kontrollblick auf ihr Handy, das weder einen Telefonanruf noch eine erhaltene Kurzmitteilung anzeigte, verbesserte ihre Laune nicht. Anouk warf sich aufs Bett und zog sich die Decke über den Kopf. Max konnte sie mal kreuzweise! Scheinbar nur wenige Minuten später wurde sie erneut durch ein Klopfen aus ihren wirren Träumen gerissen.
    »Was ist denn jetzt schon wieder?«, rief sie ärgerlich. Hatten sich denn heute alle gegen sie verschworen?
    »Tja, also …«, Valerie lugte abermals durch den Türspalt. Vermutlich hielt sie es momentan für ratsamer, ihrer Großnichte mit gebührendem Abstand zu begegnen. »Es ist jetzt bereits Mittag, Liebes. Wenn du Hunger hast, im Kühlschrank steht ein Birchermüsli. Ich dachte, etwas Leichtes würde dir heute mehr zusagen. Ich fahre Herrn van der Hulst zum Bahnhof. Das Bild ist fertig, und er will unsere Gastfreundschaft nicht länger in Anspruch nehmen. Ich mache anschließend noch einen Besuch bei einer Freundin und bin dann erst am späten Nachmittag zurück.«
    »Fein«, murmelte Anouk, »sage deinem Maler auf Wiedersehen von mir, und hast du das Silber schon durchgezählt?«
    Valerie verdrehte die Augen. »Also wirklich, Anouk. Du tust Herrn van der Hulst Unrecht. Ein Künstler stiehlt doch nicht!«
    Anouk hatte keine Lust, ihre Großtante darüber aufzuklären, was Künstler so alles taten und was nicht, sondern wedelte nur stumm mit der Hand. Sie hörte, wie die Eingangstür ins Schloss fiel, und atmete auf. Endlich Ruhe! Nur dass sie jetzt leider hellwach war. Wieder schaute sie auf ihr Handy. Nichts. Sollte sie Max anrufen? Aber was war, wenn er nicht mit ihr sprechen wollte? Sie bekam einen dicken Kloß im Hals. Warum hatte sie sich nur in ihn verlieben müssen?
    »Ich geh jetzt erst mal schwimmen!«, rief sie trotzig in den leeren Raum hinein. »Schließlich habe ich Urlaub.«
    Und heute Abend ist Theaterprobe im Schloss, flüsterte eine leise Stimme in ihrem Kopf. Was tust du dann?
    Schloss Hallwyl, 1746
    Die Totenglocke der Kapelle läutete Sturm. Marie erwachte darob und wusste sofort, dass ein Unglück geschehen war. Die Zwillinge! Die beiden kleinen Würmchen waren also gestorben. Sie musste auf der Stelle zu Bernhardine.
    Ein schmaler, heller Streifen zeigte sich am Horizont. So lange wie an diesem Tag hatte sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen. Schnell schlüpfte sie in ihren Rock, band sich die Schürze um und stülpte sich die Haube über die ungekämmten Haare. Das Wasser in der Waschschüssel war gefroren. Dann musste sie heute eben einmal auf die Morgentoilette verzichten. Auf den Korridoren war der Teufel los. Marie klopfte an Bernhardines Zimmertür und drückte, als keine Aufforderung zum Eintreten erfolgte, die Klinke hinunter. Die Tür war verschlossen. Wie das? Seit wann sperrte sich Dinchen denn ein?
    »Bernhardine«, rief sie, »ist alles in Ordnung?«
    Keine Antwort. Marie klopfte stärker, rüttelte am Knauf und drückte ihr Ohr an das Holz. Schwach hörte sie das Ticken der Uhr, ansonsten keinen Laut. War Bernhardine vielleicht im Kinderzimmer? Marie drehte sich um und eilte in den Kinderflügel. Als sie die Tür öffnete, blickte die junge Amme hoch.
    »Es geht ne schlecht«, sagte sie. »Aber sie lebn noch. Nur habn se jetzt och noch de ganze Beinche voll.«
    Marie furchte die Stirn. Wenn die Zwillinge noch lebten, für wen läutete dann die Totenglocke? Angst und eine schreckliche Vorahnung ergriffen Besitz von ihr, die sie jedoch nicht laut auszusprechen wagte.
    »Für wen …«, hauchte sie, »läutet man die Glocke?« Sie griff Halt suchend nach der Türklinke.
    Der Blick der Amme wurde leer. »Weiß nich«, erwiderte sie, »bimmelt aber schon ewich.«
    Marie drehte sich auf dem Absatz um, stürzte zur Treppe und stolperte die Stufen hinunter. Auf halber Höhe kam ihr ein Diener entgegen. Sie packte ihn am Revers.
    »Wer ist gestorben?«, schrie sie den Jungen an, der zuerst vor Schreck erbleichte und dann heftig errötete.
    »Wisst Ihr es denn noch nicht? Die Herrschaften sind tot«, raunte er.
    »Die Herrschaften?«, wiederholte Marie entsetzt. Sie schüttelte den Kopf. »Du meinst … alle beide?«
    Der Diener nickte. »Der Herr ist im See abges… ertrunken. Und die Herrin …«, er brach ab, und ein Schauder lief durch seinen Körper, »hat sich umgebracht.«
    Marie ließ den jungen Mann los, der sich beeilte, an ihr vorbei

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