Die Frau in Rot: Roman (German Edition)
Gehörnten Unzucht getrieben und sei danach mit ihm zusammen in die Hölle gefahren.
Marie hatte sich über dieses infame Geschwätz so erregt, dass sie beiden Mägden eine kräftige Backpfeife verabreicht hatte. Ihre Hand schmerzte noch immer.
»Cornelis? Ich bin’s, die Marie.«
Ein Rascheln ließ sie zusammenzucken. Hinter einem Paravent trat der Holländer hervor. Er sah schrecklich aus. Die Haare wirr, halb bekleidet, seine Miene ein einziges Trümmerfeld.
»Es heißt, sie sei eine Hexe gewesen«, sagte er tonlos.
»Nie und nimmer!«, entgegnete Marie vehement. »So etwas darfst du nicht glauben. Das sind böswillige Lügen!« Marie sah argwöhnisch über ihre Schulter, nahm Cornelis’ Hand und zog ihn wieder hinter die spanische Wand. »Der neue Schlossherr verbreitet diese Gerüchte. Er will Bernhardines Ansehen in den Schmutz ziehen. Aber du hast sie doch gekannt und geliebt … du weißt, dass das nicht wahr ist.«
Der Maler starrte zu Boden. »Geliebt? Mehr als mein Leben. Aber sie wollte mich nicht.«
Marie schluckte. Was sollte sie darauf erwidern?
»Hör zu, Cornelis! Wir haben wenig Zeit. Gerold wird nicht lange fackeln, diejenigen, die Bernhardine nahegestanden haben, ebenfalls zu verleumden. In dieser Gegend herrscht immer noch tiefer Aberglaube. Wenn nur ein winziger Verdacht auf uns beide fällt, landen wir im Schandloch … oder am Galgen.«
Der Holländer schien ihr gar nicht zuzuhören. Er ließ den Kopf hängen und zerbröselte etwas zwischen seinen Fingern, das wie eine getrocknete Blume aussah.
Marie packte ihn am Arm. »Cornelis«, flüsterte sie eindringlich, »hör mich an, wir sind in Gefahr, beide! Wir müssen fliehen!«
Ihre Reisetruhe war zu unhandlich, daher zog Marie einen Leinenbeutel unter dem Bett hervor, stopfte warme Kleidung und ein paar Kräuter in ihn hinein und machte einen festen Knoten. Unter ihrer Matratze bewahrte sie ein paar Münzen auf, die sie gespart hatte. Die steckte sie in ihren Gürtel und griff nach ihrem wollenen Schultertuch. Danach warf sie noch einen letzten Blick in die kleine Kammer, die sie über drei Jahre bewohnt hatte, und betätigte vorsichtig den Riegel. Der Korridor war leer. Sie überlegte, noch einmal kurz nach den Zwillingen zu sehen, kam dann aber davon ab, weil es ihr zu gefährlich erschien. Jede Minute konnte Gerold sich ihrer erinnern. Und was dann sein würde, wollte sie sich lieber gar nicht erst vorstellen. Als die Kammertür schon fast ins Schloss gefallen war, hielt Marie noch einmal inne und schlüpfte abermals ins Zimmer. Sie huschte zu der Truhe, wühlte in ihr herum, bis sie das gesuchte Schmuckstück gefunden hatte, und verstaute es sorgfältig in ihrem Gürtel.
Sie war seit Jahren nicht mehr geritten und verzog das Gesicht bei dem Gedanken, ihre alten Knochen auf einen Pferderücken hieven zu müssen. Doch es gab nur einen Schlitten im Schloss, und der war zu groß, als dass sie damit unbemerkt durch die Dörfer hätten fahren können. Sie traute Cornelis auch nicht zu, das schwere Gefährt zu lenken. Er war ein Künstler. Sie lächelte und schüttelte den Kopf. Wer hätte das gedacht, dass sie in ihrem Alter noch mit einem jungen Spund durchbrennen würde. Doch als ihr bewusst wurde, was sie alles zurücklassen musste, erstarrte ihr Lächeln. Sie würde Bernhardine weder die letzte Ehre erweisen können noch jemals wissen, was mit Désirée geschehen war. Bis ans Ende ihrer Tage müsste sie mit dem schrecklichen Gefühl leben, nicht zu wissen, was ihrem Liebling in den letzten Augenblicken seines Lebens wirklich zugestoßen war. Und für das Schicksal der Zwillinge konnte sie nur noch beten. Aber der Herrgott war sicher so gnädig, sie bald wieder mit ihren Liebsten zu vereinen. Dermaßen getröstet lief sie, so schnell sie ihre alten Beine trugen, durch den Palas und spähte auf den Schlosshof.
»Endlich«, zischte Cornelis, als Marie kurze Zeit später in den Stall stürzte, »ich habe schon geglaubt, sie hätten dich geschnappt.«
Er hatte in der Zwischenzeit seinen Rappen und eine ältere Stute gesattelt. Marie trat zu den Pferden, und der Maler verschränkte seine Hände zu einer Räuberleiter, so dass sie ihren Fuß von dort aus leichter über den Rücken der Stute schwingen konnte. Marie biss die Zähne zusammen. Ihr ganzer Körper schmerzte, aber sie durfte jetzt nicht schlappmachen.
»Danke«, flüsterte sie, und Cornelis nickte.
Er griff nach den Zügeln der Tiere und öffnete das Stalltor. Jetzt
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