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Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau in Rot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot S. Baumann
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kam der gefährlichste Moment. Es gab nur einen Weg, den sie nehmen konnten: den über die Schlossbrücke. Wenn jemand am Torturm stünde oder beim Brückenpfeiler … Marie wollte sich nicht vorstellen, was dann mit ihnen geschehen würde. Es musste einfach gelingen!
    Sie hatten Glück. Das Schlosstor stand offen, und weit und breit war niemand zu sehen. Cornelis schwang sich in den Sattel. Er warf ihr einen fragenden Blick zu, und Marie nickte. Sodann trieben sie die Pferde an und galoppierten durchs Tor hinaus. Sie wandten sich direkt nach Süden, da ihnen dies der sicherste Weg schien. Wenn Gerold sie suchen und verfolgen ließe, würde er sich gewiss zunächst Richtung Bern wenden, wo Dinchens Eltern lebten. Maries erster Gedanke hatte natürlich zuerst ihrem ehemaligen Dienstherrn Franz Ludwig von Diesbach gegolten. Aber nachdem sie Cornelis anvertraut hatte, dass Bernhardines Vater vermutlich eher dem neuen Schlossherrn als einer alten Amme Glauben schenken würde, hatte auch er den Kopf geschüttelt. Und deshalb hatten sie sich dazu entschlossen, alle Brücken hinter sich abzubrechen und nach Süden zu ziehen. Weit weg vom Herrschaftsgebiet derer von Hallwyl. Und auch weit weg von den Gräbern meiner beiden Schützlinge, dachte Marie. Ein dicker Kloß saß ihr im Hals und ließ sie keuchen. Der Holländer warf ihr einen alarmierten Blick zu, doch sie lächelte tapfer. Sie würde auch dies überstehen. Frauen waren stark.
    Plötzlich riss Cornelis an den Zügeln und drängte Maries Stute zur Seite, bis diese zum Stehen kam. Marie wollte bereits protestieren, sah dann aber, wie der Maler einen Finger auf die Lippen legte und mit dem Kopf zur rechten Seite deutete. Ihr stockte der Atem. An die zehn Männer standen – mit Gerold von Hallwyl in ihrer Mitte – am Ufer des Aabachs. Drei Boote waren zu Wasser gelassen worden, in denen sich weitere Knechte befanden. Sie hielten lange Stangen in den Händen, mit denen sie im trüben Aabach herumstocherten.
    Marie wollte sogleich vom Pferd steigen. Doch Cornelis stieß einen tiefen Kehllaut aus und schüttelte vehement den Kopf. Er strich mit einer Hand quer über seinen Hals. Marie nickte stumm. Natürlich, wie töricht von ihr. Zum Glück lag hoher Schnee, der das Geräusch klappernder Hufe dämpfte. Des Weiteren schrien die Helfer wild durcheinander, was Marie und Cornelis einen zusätzlichen Vorteil verschaffte. Vorsichtig, ganz vorsichtig, im Schritttempo, ritten sie an den Männern, die mit dem Rücken zu ihnen standen, vorbei. Keiner bemerkte sie. Doch plötzlich drehte sich einer der Suchenden, fast noch ein Kind, um und starrte die Reiter mit offenem Mund an. Marie erkannte ihn. Es war der Einarmige. Huldrich, der Krähenfänger und Gerolds Helfer. Sie erstarrte, konnte kaum noch atmen.
    Der Bub runzelte die Stirn, kniff die Augen zusammen und blickte dann zu Bernhardines Schwager hoch, der den Männern in den Booten etwas zurief. Cornelis war totenbleich geworden. Ein Wort aus dem Mund des Jungen, und mit ihrer Flucht war es vorbei, noch ehe sie begonnen hatte. Bitte, lieber Gott, lass ihn nicht rufen!, betete Marie stumm.
    Huldrich sah wieder zu ihnen herüber, schaute nochmals zu Gerold auf und hob seinen Arm.
    Marie presste die Lippen zusammen, um nicht zu schreien. Vorbei! Sie werden uns umbringen! Doch anstatt den Hallwyler am Ärmel zu zupfen, winkte Huldrich ihnen zu, lächelte und drehte sich dann wieder um.
    Marie und Cornelis sahen sich verblüfft an. Doch es blieb ihnen keine Zeit, sich zu wundern. Die Männer in den Booten machten Anstalten, zum Ufer zurückzukehren. Der Maler gab Maries Stute einen Klaps auf den Hintern und trieb seinen Rappen mit den Unterschenkeln an. Nach einem Sprung über einen zugefrorenen Wasserlauf verschwanden Marie und Cornelis im schneebedeckten Gehölz des Seeufers.

22
    Seengen, 2010
    E in Friseur in getigerten Leggings, der sich als Maskenbildner ausgab, schminkte Anouk tiefe Falten auf die Stirn und um den Mund herum, bis sie aussah, als würde sie demnächst das Zeitliche segnen.
    »Exquisit!«
    Er trat einen Schritt zurück, küsste seine Fingerspitzen und scheuchte sie dann vom Stuhl, denn hinter ihr warteten bereits die anderen Schauspieler auf ihre Verwandlung. Als sie Anouk erblickten, brachen sie in schallendes Gelächter aus. Die schnaubte entrüstet und stülpte sich die Haube über ihre Locken. Im Schatten einer Eiche saß die Bibliothekarin in ihrem wunderschönen Kostüm, ein riesiges, weiß

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