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Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Die Frau in Rot: Roman (German Edition)

Titel: Die Frau in Rot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot S. Baumann
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Kulissenmaler ergattern können. Es war nicht unbedingt die Arbeit, die ihm vorgeschwebt hatte, aber er bezog dort wenigstens ein regelmäßiges Gehalt, von dem sie die Miete und das Essen bezahlen konnten. Marie hieß seit drei Jahren Maria van der Hulst und gab sich als Cornelis’ Mutter aus. Es war ihnen klüger erschienen, ihre Namen zu wechseln. Schließlich wussten sie nicht, wie weit der Arm derer von Hallwyl reichte.
    Am Fuß der Treppe spielten zwei Kinder. Ein Mädchen mit wilden Locken, wie sie auch Bernhardine und Désirée gehabt hatten. Marie fühlte einen Stich in der Brust. Sie vermisste die beiden. Jeden Tag. Und oft weinte sie sich in den Schlaf, wenn sie an die zwei denken musste. Sie hatte Cornelis gebeten, von Dédée und Dinchen ein Bild zu malen, aber er hatte nur den Kopf geschüttelt. Er male nie ein Porträt doppelt, hatte er gesagt. Nur einmal hätte er diesen Grundsatz gebrochen, und deshalb befänden sie beide sich jetzt in dieser Lage. Marie hatte seine Antwort nicht verstanden.
    Die Römerinnen liefen Cornelis in Scharen hinterher, doch er schien jedes Interesse am weiblichen Geschlecht verloren zu haben. Marie seufzte. Das war nicht gut. Sie war in die Jahre gekommen. Irgendwann, vielleicht schon bald, würde sie sterben. Wer würde ihm dann den Haushalt führen? Das warme Klima tat ihren alten Knochen zwar gut, doch sie spürte immer öfter eine Beklemmung in der Brust, die ihr das Atmen schwer machte und sie ängstigte. Doch letzthin war Cornelis nach Hause gekommen und hatte mit blitzenden Augen von einer Signorina Alfieri, der Tochter des Kapellmeisters vom Teatro, gesprochen. Möglicherweise bahnte sich da etwas an. Sie hätte es Cornelis von Herzen gewünscht. Man durfte nicht in der Vergangenheit leben, weil man sonst die Gegenwart darüber vergaß. Vom Kirchturm der Santa Trinità dei Monti schlug es die vierte Stunde. Es wurde Zeit.
    Marie erhob sich und ging die Treppe hinab. Sie strich dem Mädchen mit den wilden Locken zärtlich über den Kopf, kämpfte die Tränen nieder und verschwand in der Menschenmenge.

25
    Seengen, 2010
    A m Samstagmorgen erwachte Anouk um halb sechs. Sie drehte sich nochmals um, konnte aber nicht mehr einschlafen und beschloss, joggen zu gehen. Am Abend würde endlich die Premiere des Theaterstücks stattfinden, die ursprünglich für den vergangenen Mittwoch vorgesehen gewesen war, in Ermangelung des Regisseurs jedoch hatte abgesagt werden müssen. Seit Tagen wurde Seengen von Journalisten und Fernsehteams belagert. Das verträumte Dorf war plötzlich in aller Munde. Die Berichte in den Zeitungen überschlugen sich. Mutmaßungen wurden angestellt, Dorfbewohner interviewt, und vor dem Schloss bildeten sich lange Schlangen von Schaulustigen, die den Ort des Geschehens persönlich in Augenschein nehmen wollten. Es war das reinste Chaos. Doch langsam verebbte der Rummel. Eine skandinavische Prinzessin hatte sich zur Heirat entschlossen und das Interesse der Welt sich auf dieses Ereignis fokussiert.
    Anouk schlüpfte aus dem Bett, ging ins Bad und wusch sich das Gesicht. Es versprach, auch heute wieder ein heißer Sommertag zu werden. Hoffentlich hatte Thierry genug wasserfeste Schminke dabei. Sie versuchte, keinen Lärm zu machen, als sie in ihrer Reisetasche nach ihren Shorts und ausgetretenen Turnschuhen wühlte. Dabei fiel plötzlich die halb ausgetrunkene Flasche Amaretto heraus und rollte scheppernd über den Parkettboden.
    »Kranke sollte man schlafen lassen«, kam es brummend aus dem Bett, und Max’ verschlafenes Gesicht tauchte zwischen den Kissen auf.
    »Und Kranke sind auch meist sehr dankbar dafür, dass man sich so gut um sie kümmert«, parierte Anouk und setzte sich lächelnd auf die Bettkante. »Wie geht’s dir heute?«
    Er verzog das Gesicht. »Den Umständen entsprechend … um im Fachjargon zu bleiben.«
    Ein dicker, weißer Verband bedeckte nahezu seinen ganzen Oberkörper. Stöhnend versuchte er, sich aufzusetzen.
    »Bleib doch liegen. Es ist noch früh. Ich will vor dem Frühstück sowieso erst noch eine Runde joggen gehen.«
    »Kann ich mitkommen?«
    Anouk musste lachen. »Das nächste Mal vielleicht.« Sie beugte sich über ihn und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. »Bis später, mein Held.«
    Als sie das Haus verließ, wanderte ihr Blick unweigerlich zu den Brombeerbüschen. Seit der Bergung von Bernhardines Skelett war ihr Désirée nicht mehr erschienen. Mit den unerklärlichen Phänomenen war es anscheinend

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