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Die Frau in Schwarz

Die Frau in Schwarz

Titel: Die Frau in Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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er wollte … Aber statt meine Frage überhaupt einer Antwort zu würdigen, wandte er sich von mir ab und verwickelte seinen Nachbarn auf der anderen Seite in ein ausführliches Gespräch über den Anbau verschiedener Getreidesorten. Diese erneute Geheimniskrämerei machte mich so wütend, dass ich abrupt aufstand und die Gaststube verließ.
    Zehn Minuten später stand ich in weniger förmlicher, dafür aber bequemerer Kleidung auf dem Bürgersteig und wartete auf die Ankunft des von einem Mann namens Keckwick chauffierten Automobils.

Über den Damm
    E in Automobil erschien nicht. Stattdessen hielt vor dem GIFFORD ARMS eine ziemlich schäbige Kalesche. Sie war auf dem Marktplatz nichts Ungewöhnliches – ich hatte am Vormittag viele ähnliche gesehen, und da ich annahm, diese gehöre irgendeinem Landwirt oder Viehhändler, achtete ich nicht darauf, sondern schaute mich weiter nach einem Automobil um. Da hörte ich meinen Namen.
    Das Pferd war kaum größer als ein Pony mit zottiger Mähne und Scheuklappen, und der Kutscher, der seine große Mütze bis zu den Brauen heruntergezogen hatte und einen langen braunen Mantel trug, ähnelte ihm fast ein wenig und passte wie das Pferd zu dem Fahrzeug. Ich freute mich auf die Fahrt und stieg erwartungsvoll in die Kalesche. Keckwick hatte mich nur mit einem flüchtigen Blick bedacht, und nun, da er wohl annahm, dass ich saß, schnalzte er dem Pferd zu, das sich einen Weg durch den überfüllten Marktplatz bahnte und dann die Straße hochtrottete, die zur Kirche führte. Als wir an der Kirche vorbeifuhren, versuchte ich, einen Blick auf Mrs. Drablows Grab zu erhaschen, doch es war hinter Büschen verborgen. Ich erinnerte mich an die kranke, einsame junge Frau und an Mr. Jeromes Reaktion, als ich sie erwähnt hatte. Aber gleich darauf war ich zu sehr von der Gegenwart und der Umgebung gefesselt, als dass ich weiter über die Beerdigung und den Vorfall hinterher nachgedacht hätte, denn wir hatten Crythin Gifford mittlerweile hinter uns gelassen und waren auf offenem Land angekommen.
    Ringsum, über uns und bis in weite Ferne schien nur noch Himmel zu sein, nichts als Himmel, von einem ganz schmalen Streifen Land abgesehen. Ich sah diesen Teil des Landes, wie die großen Landschaftsmaler Holland gesehen hatten, oder das Land um Norwich. Heute war nicht eine Wolke zu erblicken, aber ich konnte mir gut vorstellen, von welch gewaltiger Düsternis der Himmel mit grauen, sturmgepeitschten Regenwolken über der Flussmündung sein würde, wie es hier sein musste, wenn die Schneeschmelze im Februar die Marschen eisengrau werden ließ und sich der Himmel zu ihnen herabsenkte, und in den Märzstürmen, wenn das Licht sich kräuselte und Schatten einander über die gepflügten Felder jagten.
    Heute war alles hell und klar, die Sonne schien, wenngleich ihr Licht jetzt etwas bleich war, und der Himmel sein strahlendes Blau des Vormittags nun gegen einen Silberton eingetauscht hatte. Während wir rasch über das flache Land fuhren, sah ich kaum einen Baum, dafür dunkle, niedrige Hecken. Der Boden, anfangs gepflügt und in fruchtbaren, geraden maulwurfbraunen Furchen, wich allmählich sprödem Gras. Ich sah Deiche und Gräben, und dann näherten wir uns auch schon den eigentlichen Marschen. Sie lagen still und glänzend unter dem Novemberhimmel und schienen sich, soweit das Auge reichte, in alle Richtungen zu erstrecken und übergangslos mit dem Wasser der Flussmündung und dem Horizont zu verschmelzen. Angesichts dieser erstaunlichen Schönheit, der Weite, der scheinbaren Unbegrenztheit wurde mir regelrecht schwindelig. Dieses Gefühl von Endlosigkeit, mit dem Himmel über mir und zu beiden Seiten, ließ mein Herz rasen. Ich wäre Tausende von Kilometern gefahren, um so etwas zu sehen. Niemals hätte ich die Phantasie gehabt, mir so etwas vorzustellen.
    Die einzigen Geräusche, die ich neben dem Hufschlag, dem Rattern der Räder und dem Knarren des Gefährts hören konnte, waren abrupte, schrille, nahezu unheimliche Schreie von Vögeln, nah und fern. Wir waren knapp fünf Kilometer gefahren, ohne an einem Hof oder Cottage, ja überhaupt einer Behausung vorbeizukommen. Dann endeten die Hecken, und wir schienen auf den Rand der Welt zuzufahren. Vor uns glitzerte das Wasser wie Metall, und ich entdeckte eine Spur, ähnlich dem Kielwasser weit hinter einem Boot, die übers Wasser führte. Als wir näher kamen, bemerkte ich, dass das Wasser nur seicht über dem Sand stand und dass die Spur

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