Die Frau mit dem Muttermal - Roman
Nächster an der Reihe war. Spät am Montagabend beschloss sie, dass die Vorbereitungszeit nun zu Ende wäre. Der Plan war fertig. Zeit, wieder zur Tat zu schreiten. Zuerst die Präludien und dann der Akt selbst.
Das Töten.
Ein Gefühl von Wohlbehagen verbreitete sich unter ihrer Haut, und als sie die Augen schloss, konnte sie durch das gelbe, abflauende Flimmern das Gesicht ihrer Mutter sehen. Deren müden, aber unabweisbaren Blick.
Handle, meine Tochter.
IV
30. Januar – 1. Februar
11
Als Rickard Maasleitner am Dienstagmorgen aufwachte, klangen ihm noch die Worte des Rektors im Ohr, und es gab natürlich guten Grund für den Verdacht, dass er alles nur geträumt hatte.
»Du verstehst vielleicht, dass du nicht nur wegen deiner Allergie krankgeschrieben bist. Ich gebe dir eine gewisse Bedenkzeit. Ich möchte, dass du dir überlegst – dir gründlich überlegst –, ob du deine Tätigkeit bei uns wirklich fortsetzen willst!«
Er hatte seine Brille auf die Nasenspitze geschoben und sich über den Schreibtisch vorgebeugt, während er sprach. Hatte versucht, dabei so verflucht väterlich und verständnisvoll auszusehen, obwohl sie fast gleichaltrig waren und sich seit der Zeit kannten, als sie beide neu an die Schule kamen. »Lass dir Zeit«, hatte er hinzugefügt und dabei kurz seinen Arm um Rickards Schulter gelegt. Als er das Zimmer verließ, hatte der Rektor noch irgendwas von Idealismus und Erziehung gemurmelt. Widerlich.
Hatte er Zeit?
Er drehte sich um und schaute auf den Wecker im Bücherregal.
Viertel vor zehn.
Viertel vor zehn an einem Dienstagmorgen im Januar. Noch im Bett. Ein merkwürdiges Gefühl, gelinde gesagt. Für drei Wochen wegen einer Allergie krankgeschrieben. Ja, vielen
Dank – im Klartext hieß das, dass er vom Unterricht befreit war, weil er einen frechen Fünfzehnjährigen auf den Flur geschickt und ihm zugerufen hatte, er möge sich doch zum Teufel scheren. Und einem anderen ein paar Ohrfeigen verpasst hatte.
Und das nicht bereut hatte.
Das war der Punkt. Er hatte nicht um Entschuldigung gebeten. Hatte sich geweigert, zu Kreuze zu kriechen. Beide Vorfälle hatten sich während der hektischen Prüfungstage Anfang Dezember ereignet, und seitdem hatten die Mühlen zu mahlen begonnen.
Schülerproteste. Elternrat. Ein paar Zeilen in den Zeitungen. Die ganze Zeit war eine Tür offen gewesen, das war ihm natürlich ganz klar – ein Ausweg. Alle Beteiligten waren bereit, einen Strich unter die Sache zu ziehen, wenn er nur die Schuld auf sich nahm und um Entschuldigung bat.
Es bereute, wie gesagt.
Und alle erwarteten, dass so die Lösung aussehen würde. Natürlich. Maasleitner sollte Vernunft annehmen, den Kopf voller Scham senken und nachgeben. Wenn nicht vorher, dann zumindest während der Weihnachtsferien. Eine Selbstverständlichkeit … die kranke Blässe des Nachdenkens, und eins würde das andere ergeben.
Aber daraus war also nichts geworden. Er war stattdessen an das Ende des Wegs gelangt. Bereits in einem sehr frühen Stadium hatte er gewusst, dass er dieses Mal gar nicht daran dachte zurückzuweichen. Wie er es früher gemacht hatte, die Schuld auf sich nehmen und um Entschuldigung für Dinge bitten, obwohl er im Innersten seines Wesens fest davon überzeugt war, dass er doch eigentlich nur getan hatte, was richtig war.
Dieses Mal war es so sonnenklar wie noch nie. In beiden Fällen. Diese beiden jungen Machos, die er sich gehörig vorgenommen hatte, hatten nur einen Bruchteil dessen bekommen, was sie eigentlich verdient hatten. Zumindest einmal eine Spur von Gerechtigkeit. Und jetzt war er vom Dienst suspendiert,
mehr oder weniger. Bisher zwar unter einem Deckmantel und mit Lohnfortzahlung, aber es war natürlich nur eine Frage der Zeit, wann das Ganze einen offizielleren Stempel bekommen würde. Sang- und klanglose Verabschiedung sozusagen.
Drei Wochen, genau gerechnet. Rickard Maasleitner kannte die Spielregeln. Er begriff sie, und sie gefielen ihm nicht. Hatten ihm noch nie gefallen. Ein Sicherheitsnetz für Kretins und Schweinehunde. Verfluchte Scheiße, dachte er und trat die Decke fort. Gerechtigkeit!
Er war kaum aus dem Bett, als das Telefon klingelte. Wenn das jemand aus der Schule ist, lege ich auf, beschloss er. Aber es war niemand aus der Schule. Es war eine Frauenstimme. Eine ziemlich leise und ein wenig heisere Frauenstimme.
»Erkennst du die Melodie wieder?«, fragte sie.
Sonst nichts. Dann begann die Musik. Irgendwas Instrumentales. Oder aber
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