Die Frau mit dem Muttermal - Roman
versucht.«
So etwas aus Van Veeterens Mund und bei so einer Gelegenheit zu hören, war schon fast als heldenhafter Witz anzusehen. Münster war gezwungen, sein Lachen wegzuhusten.
»Jedenfalls machen wir übers Wochenende frei«, sagte er. »Nur gut, dass wir um den Bankräuber herumgekommen sind.«
»Kann sein. Nur gut für ihn, dass er um uns herumgekommen ist.«
»Die kriegen ihn schon«, meinte Münster und nahm einen Schluck. »Es gibt ja Zeugen. Ich muss jetzt nach Hause. Synn hat angefangen zu arbeiten, und der Babysitter wird nach Stunden bezahlt.«
»Ach ja«, seufzte Van Veeteren. »Immer ist irgendwas.«
Am Montag zeigte sich, dass Münsters Prophezeiung eingetroffen war. Der Bankräuber – ein arbeitsloser, ehemaliger Parkwächter – war am frühen Sonntagmorgen von Rooth und Heinemann gefasst worden. Der entscheidende Hinweis kam von
einer Frau, die am Samstagabend in einem der besten Restaurants der Stadt außergewöhnlich gut bewirtet worden war.
Im Fall Malik war im Laufe des Wochenendes nichts geschehen, abgesehen davon, dass Jacob Malik wieder nach München zurückgekehrt war. Seine Mutter wohnte bis zur Beerdigung, die für Samstag, den 3. Februar angesetzt worden war, bei ihrer Schwester. Aus der Bevölkerung waren ungefähr zwanzig Hinweise eingegangen, von denen jedoch keiner irgendwelche Relevanz für die Ermittlungen zu haben schien. Bei der üblichen Lagebesprechung im grünen Dienstzimmer des Polizeichefs wurde deshalb beschlossen, dass der Einsatz ab jetzt auf ein eher routinemäßiges Niveau herabgeschraubt werden sollte.
Ryszard Malik war inzwischen seit fast zehn Tagen tot, und die Polizei tappte immer noch im Dunkeln.
Es gab null und nichts.
Und der Januar schritt voran.
10
Die Befriedigung war größer, als sie erwartet hatte. Tiefgreifender und nachhaltiger, als sie es sich hatte vorstellen können. Zum ersten Mal in ihrem erwachsenen Leben fühlte sie sich ausgeglichen und zufrieden – bildete sie sich jedenfalls ein. Schwer zu sagen, was es eigentlich war, aber es war im Körper zu spüren. Auf der Haut und in der Entspannung der Muskeln war es zu spüren, eine Art Rausch, der sich wie schäumende, sanfte Blasen in die Nervenbahnen ausbreitete und der sie auf einem konstant erhöhten Bewusstseinsniveau hielt, in einer souveränen Ruhe mit dem gleichzeitigen Gefühl, high zu sein. Ein Orgasmus, dachte sie aufgekratzt, ausgedehnt in eine absurde Unendlichkeit. Der sehr langsam endete und angenehm ausebbte, während sie lässig auf die nächste Tat wartete. Und die übernächste.
Zu töten.
Diese Menschen zu töten.
Vor einigen Jahren hatte sie ein religiöses Erlebnis gehabt; fast wäre sie in eine dieser Sekten eingetreten, die heutzutage wie Pilze aus dem Boden schossen (wie Schimmel aus den Tanks, hatte mal jemand gesagt), und sie erinnerte sich an den Zustand von damals. Der Unterschied bestand nur darin, dass es damals vorübergegangen war. Drei, vier Tage ekstatische Verzückung hatten sich in Reue und Kater verwandelt, wie bei jedem anderen Rausch.
Aber jetzt nicht. Nicht dieses Mal. Nach zehn Tagen war es immer noch da. Sie war voller Kraft, entschlossen, wieder zu töten. Zu töten und wieder zu töten. Und damit langsam den Kreis zu schließen, der aus der Geschichte ihrer Mutter und ihrem eigenen Leben bestand. Ihre Aufgabe. Einen Punkt hinter alles zu setzen, endlich.
Sie las über ihren ersten Einsatz in den Zeitungen. Kaufte sich das Neuwe Blatt, den Telegraaf und einige andere, saß in ihrem Zimmer und ging interessiert die Berichte durch. Die große Aufmerksamkeit überraschte sie. Wie viel würde man dann erst beim nächsten Mal schreiben? Und beim übernächsten Mal? Es ärgerte sie ein wenig, dass sie keinen Fernseher hatte, sie spielte mit dem Gedanken, sich einen kleinen Apparat anzuschaffen, beschloss dann aber, es sein zu lassen. Oder es zumindest nicht zu überhasten; vielleicht konnte sie ja beim nächsten Mal der Versuchung nicht widerstehen, von sich selbst in den Nachrichten zu hören und zu sehen, aber die Zeit würde es schon zeigen. Natürlich hätte sie sich auch in ein Café setzen und fernsehen können, aber das reizte sie nicht. Das war nicht privat genug.
Denn wie immer es auch war – schließlich handelte es sich um eine private Geschichte. Eigentlich eine zwischen ihr und ihrer Mutter.
Sie, ihre Mutter und die Namen auf der Liste.
Jetzt hatte sie einen durchgestrichen. Einen roten Kreis
um den gemalt, der als
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