Die Frau mit dem Muttermal - Roman
Konturen etwas verwischen. Abstumpfung, schließ mich in deine Arme!
Als sie sehr viel später aus dem kleinen Kellerrestaurant wankten, war die Stimmung deutlich ausgelassener. Maasleitner war gezwungen, seinem Kollegen die Treppe hinaufzuhelfen, die zur Straße hochführte. Faringer verfehlte eine Stufe, hielt sich am Eisengeländer fest und lachte aus vollem Halse, und als es kurze Zeit später endlich gelungen war, ein Taxi anzuhalten, stellte sich heraus, dass er seine Brieftasche unten auf dem Tisch vergessen hatte. Maasleitner ging zurück, sie zu holen, während Faringer halb auf dem Rücksitz lag und dem bescheiden lauschenden, aber offensichtlich abgeklärten Fahrer ein unanständiges Lied vorsang.
Als Maasleitner die Rücklichter des Autos hinter der Ecke der Druckerei verschwinden sah, fragte er sich, wie, um alles
in der Welt, Enso Faringer es wohl schaffen würde, am nächsten Morgen das Pult zu erklimmen.
Er war diese Sorge ja los, und kraft der lieblichen Süße des Alkohols in seinen Adern fühlte er sich mit einem Mal trotz allem ganz zufrieden mit der Situation. Ein langer, schöner Morgen im Bett lag vor ihm und dann vielleicht ein kleiner Ausflug … nach Weimarn? Warum nicht? Wenn nur das Wetter einigermaßen mitmachte.
Gerade im Augenblick war es gar nicht so schlecht. Der Regen hatte aufgehört. Ein lauer, leichter Wind strich durch die Stadt, und als Maasleitner langsam durch die vertrauten, engen Gassen wanderte, um nach Hause in die Weijskerstraat zu kommen, hatte er das deutliche Gefühl, dass es gar keinen Grund gab, sich so große Sorgen um die Zukunft zu machen.
Wie eine Bestätigung dieses Gefühls löste sich ungefähr gleichzeitig eine Gestalt aus den dunklen Schatten der Keymerkirche ein Stück weit die Straße runter. Sie folgte ihm mit ungefähr dreißig Schritten Abstand, leise und taktvoll – über das rundgeschliffene Kopfsteinpflaster, über die Wilhelmsgracht und bis in die Weijskerstraat, sogar bis an die Tür, vor der Maasleitner etwas verwundert feststellen musste, dass sie offen stand und sich anscheinend jemand am Schloss zu schaffen gemacht hatte. Trotz seines leicht euphorischen Zustands blieb er stehen und grübelte eine Weile darüber nach – während die Person, die ihm folgte, ruhig in einem anderen Hauseingang schräg gegenüber abwartete. Dann zuckte Maasleitner mit den Schultern, trat ein und nahm den Fahrstuhl bis in den dritten Stock.
Er war noch nicht lange in seiner Wohnung, hatte sich noch nicht einmal ausgezogen, als es an der Tür klingelte. Die Uhr über dem Herd in der Küche zeigte ein paar Minuten nach zwölf, und als er ging, um zu öffnen, überlegte er, wer um alles in der Welt denn um diese Zeit etwas von ihm wollte.
Dann beschloss er, dass das natürlich Enso Faringer war, der in seinem überdrehten Zustand irgendeine verrückte Idee
hatte, und deshalb öffnete er die Tür mit einem toleranten Lächeln auf den Lippen.
Ungefähr sechzehn Stunden später öffnete seine 17-jährige Tochter dieselbe Tür, und wenn die Umstände nicht so grotesk gewesen wären, wäre es ihr sicher möglich gewesen, immer noch eine Spur dieses Lächelns zu entdecken.
V
1. – 7. Februar
13
»Also kein Zweifel?«, fragte Heinemann.
»Kaum«, entgegnete Münster. »Die gleiche Munition – 7,65 Millimeter. Die Techniker sind sich so gut wie sicher, dass es sich auch um die gleiche Waffe gehandelt hat, aber das bekommen wir definitiv erst morgen bestätigt.«
»Zwei Schüsse in die Brust, zwei in den Unterleib«, sagte Rooth und deutete auf die Fotos, die vor ihm auf dem Tisch lagen.
»Verflucht, das ist ja genau das gleiche. Wie bei Ryszard Malik.«
»Es war wohl auch derselbe Täter«, sagte Moreno. »Schließlich hat in den Zeitungen nichts von den Unterleibsschüssen gestanden.«
»Ganz richtig«, murmelte Van Veeteren. »Manchmal klappt es sogar mit dem Maulkorb bei den Journalisten.«
Er schaute von dem Papier auf, das er in den Händen hielt und gerade gelesen hatte. Es war ein sehr vorläufiger Arztbericht, den Frau Katz ihm hereingereicht hatte. Er besagte, dass Rickard Maasleitner wahrscheinlich in der Nacht zum Donnerstag irgendwann zwischen elf und zwei Uhr nachts gestorben war, und dass die Todesursache eine Kugel gewesen war, die den Herzmuskel durchschlagen hatte. Die übrigen Schüsse waren nicht unmittelbar tödlich, jedenfalls nicht für sich genommen, möglicherweise alle zusammen und mit Hinblick auf den
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