Die Frau mit dem Muttermal - Roman
habe gestern mit ihr gesprochen – sie wohnt immer noch bei ihrer Schwester, und ich denke, sie wird dort auch noch eine ganze Weile bleiben. Sie war fest davon überzeugt, dass es so war, aber sie hatte keinerlei Ahnung, um welche Musik es sich handelte oder was es bedeuten könnte.«
»Hm«, überlegte Reinhart. »Und Maasleitner?«
»Bekam offensichtlich am Mordtag oder einen davor eine ganze Menge Anrufe … er hat das dem kleinen Deutschzwerg erzählt, aber der war ja bis zum Halskragen abgefüllt, deshalb erinnert er sich nicht mehr an besonders viel.«
»Jedenfalls muss es die gleiche Musik gewesen sein«, sagte Münster.
»Ja«, knurrte der Kommissar. »Davon können wir ausgehen.«
»Wäre nur interessant, zu wissen, warum.«
Es wurde still am Tisch.
»Haben die beiden das auch nicht gewusst?«, fragte Jung.
Van Veeteren schüttelte den Kopf.
»Scheint nicht so. Jedenfalls nicht Maasleitner. Wir wissen ja nicht, ob Malik auch derartige Anrufe entgegengenommen hat. Er hat seiner Frau nichts Diesbezügliches gesagt, aber das wäre ja nur zu verständlich.«
»Äußerst verständlich«, bestätigte Rooth.
Reinhart holte seine Pfeife heraus und betrachtete sie eine Weile. »Wenn sie selbst nicht den Grund wussten, dann weiß ich nicht, wie, zum Teufel, wir ihn herausfinden könnten«, erklärte er. »Obwohl das ja etwas zeigt. Es handelt sich hier um geplante Taten, keine Zufallstreffer. Verflucht genau geplant …«
Er stopfte seine Pfeife.
»Es scheint so, als hätten wir es dieses Mal mit einem vollwertigen Gegner zu tun, meint ihr nicht auch?«
Van Veeteren nickte mürrisch.
»Zweifellos. Jedenfalls plane ich nicht, das mit der Telefonmusik
den Journalisten mitzuteilen … zumindest noch nicht. Aber wir müssen natürlich die übrigen einunddreißig warnen.«
»Die noch am Leben sind«, sagte deBries.
»Münster kann einen Brief entwerfen, den wir ihnen schicken. Achte genau auf die Formulierungen, ich will ihn dann noch mal sehen.«
»Klar«, sagte Münster.
»Die restliche Arbeit verteilen wir nach der Kaffeepause«, meinte der Kommissar und putzte sich zum zwanzigsten Mal in der Stunde die Nase.
»Alles zu seiner Zeit«, bemerkte Rooth und stand auf.
Reinhart setzte sich dem Kommissar gegenüber und rührte mit dem Löffel in seinem Kaffee.
»Ziemlich beunruhigend«, sagte er.
Van Veeteren nickte.
»Meinst du, es werden noch mehr?«
»Ja.«
»Ich auch.«
Eine Weile sagten beide nichts.
»Vielleicht auch gut so«, erklärte Reinhart. »Sonst lösen wir den Fall nie.«
Der Kommissar sagte nichts. Er wischte sich nur die Nase mit der Serviette ab und atmete schwer. Rooth kam mit einem wohlgefüllten Tablett und setzte sich zu ihnen.
»Was ist besser?«, fuhr Reinhart fort. »Zwei Opfer und ein Mörder, der davonkommt? Oder drei Opfer und ein Mörder, der gefasst wird?«
»Oder vier?«, fragte Van Veeteren weiter. »Oder fünf? Irgendwo gibt es immer eine Grenze.«
»Zumindest muss man eine ziehen«, sagte Reinhart. »Das ist nicht das Gleiche.«
»Am besten wäre es doch, wenn wir gar kein Opfer hätten«, flocht Rooth ein. »Und somit auch keinen Mörder.«
»Utopien«, schnaubte Reinhart. »Hier halten wir uns an die Wirklichkeit.«
»Nun ja«, sagte Rooth.
Als Van Veeteren sich abends in seinem Sessel zurechtsetzte, in zwei Decken gewickelt, und Händel aus den Lautsprechern erklang, dachte er noch einmal an das Gespräch in der Kantine. Ihm war klar, dass seit dem Mord an Rickard Maasleitner genau eine Woche vergangen war. Seit dem ersten Mord bereits knapp drei.
Und ihm war klar, dass man auf diese Art und Weise kaum Lorbeeren ernten konnte. Hätte er nicht zumindest irgendeine Form von Bewachung anordnen müssen? Hätte er nicht doch intensiver nach der Waffe suchen lassen müssen? Hätte er nicht … ?
Er zog das Foto hervor und schaute es zum tausendsten Mal an, seit Heinemann damit angekommen war. Sein Blick wanderte langsam von dem einen zu dem anderen dieser aufrechten jungen Männer.
Fünfunddreißig erwartungsvolle Jünglinge auf dem Weg ins Leben. Jeder Einzelne zielsicher weit in die Zukunft blickend, wie es schien.
Die Zukunft?, dachte er.
War noch jemand an der Reihe?
Er nahm es an. Wer?
VI
8. – 14. Februar
19
Als der Anruf endlich kam, hatte Karel Innings bereits seit sechs Tagen darauf gewartet.
Seitdem er an diesem Morgen die Zeitung in der Hand gehabt und die entsetzlichen Schlussfolgerungen gezogen hatte, wusste er, dass er
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