Die Frau mit dem Muttermal - Roman
entscheiden, worauf sie sich wirklich begründeten.
Gesunde und auf Erfahrung basierende Intuition? Oder nur eine ängstliche und stockdumme Angst um den guten Ruf und Namen der Militärschule?
Schwierigkeiten mit dem militärischen Ehrenkodex hatte er auf jeden Fall, und die Feststellung, dass der Ausflug nach Schaabe ihn keinen Schritt weitergebracht hatte, lag fast auf der Hand. Zumindest, was die Mordgeschichte betraf.
Er schaute auf die Uhr und breitete auf dem freien Sitz neben sich den Stadtplan aus.
Van Kuijperslaan, so hieß es doch, oder?
Sie öffnete die Tür, und er sah sofort, dass ihr warmes Lachen sich in all den Jahren nicht verändert hatte. Die gleiche schöne Uleczka, dachte er.
Er fummelte am Papier und überreichte ihr den Blumenstrauß. Sie lachte noch breiter, als sie ihn entgegennahm. Ließ ihn in den Flur eintreten und umarmte ihn herzlich. Er beantwortete diese Begrüßung bereitwillig und mit so viel Nachdruck, wie er es in einem so frühen Stadium für angemessen ansah, aber dann sah er aus den Augenwinkeln einen dunkelhaarigen Mann – ungefähr in seinem Alter – mit einer Weinflasche in der Hand aus der Küche kommen.
»Wer, zum Teufel, ist das denn?«, zischte er ihr ins Ohr.
Sie ließ ihn los und wandte sich dem Mann zu. »Das ist Jean-Paul«, sagte sie fröhlich. »Mein Freund. Nur gut, dass er auch zu Hause ist, dann lernt ihr euch gleich kennen.«
»Wie witzig«, sagte Inspektor Rooth und versuchte, auch zu lachen.
21
Als Innings gerade das Le Bistro betreten wollte, wurde er in der Tür von einem Portier zurückgehalten, der ihm einen Umschlag gab und ihn bat, wieder hinauszugehen. Verblüfft tat er, was ihm gesagt worden war, öffnete den Umschlag und fand darin die Adresse eines anderen Restaurants.
Es lag drei Häuserblocks weiter zur Kirche hin, und während Innings dorthin ging, wurde ihm zumindest klar, dass Biedersen ernste Absichten hatte und nichts dem Zufall zu überlassen gedachte. Er versuchte, selbst genauer darüber nachzudenken und zu irgendeiner Art eigenem Entschluss zu kommen, aber als er angekommen war und Biedersen in einer ziemlich abgeschiedenen Ecke entdeckt hatte, spürte er in erster Linie Erleichterung – und den großen Wunsch, alles in die Hände eines anderen zu legen.
Es schien auch gar keinen Zweifel zu geben, dass Biedersen bereit war, ihm diesen Gefallen zu tun.
»Lange nicht gesehen«, sagte er. »Du bist Innings, oder?« Innings nickte und setzte sich. Bei näherem Hinschauen hatte er das Gefühl, dass Biedersen sich weniger verändert hatte, als er erwartet hatte. Das letzte Mal, dass sie sich gesehen hatten, so vor zehn Jahren, war es reiner Zufall gewesen. Genau genommen hatten sie sich seit diesen Junitagen 1976 nicht wiedergesehen. Die gleiche kräftige, untersetzte Gestalt. Ein großes Gesicht, dünnes, rötliches Haar und Augen, die irgendwie immer stechend aussahen. Ein Blick, der nie ruhte. Ihm fiel ein, dass es Leute gegeben hatte, die Angst davor gehabt hatten.
Vielleicht hatte er selbst zu ihnen gehört.
»Ja, also«, sagte er. »Ich habe schon ein paarmal versucht, dich zu erreichen. Ich meine, bevor du angerufen hast.«
»Ist dir klar, was da vor sich geht?«, fragte Biedersen.
Innings zögerte.
»Ja, ich weiß nicht …«
»Die anderen beiden sind umgebracht worden.«
»Ja.«
»Irgendjemand hat sie getötet. Was meinst du, wer das ist?«
Innings stellte fest, dass es Biedersen gelungen war, gleich zum Kern der Sache zu kommen.
»Sie«, antwortete er. »Das war sie wohl …«
»Sie ist tot.«
Biedersen stellte das im gleichen Augenblick fest, in dem ein Kellner auftauchte, um ihre Bestellungen entgegenzunehmen, und es dauerte eine Weile, bis er die Gelegenheit hatte, diese Feststellung weiter auszuführen.
»Sie ist tot, wie ich gesagt habe. Das muss jemand gewesen sein, der es für sie gemacht hat. Ich glaube, es ist ihre Tochter.«
Zu seiner Überraschung merkte Innings, dass sich in Biedersens Stimme eine Spur von Angst befand.
»Die Tochter?«, fragte er.
»Ja, die Tochter. Ich habe versucht, sie aufzuspüren.«
»Und?«
»Sie ist nicht zu finden.«
»Nicht zu finden?«
»Ich kann sie nicht erreichen. Sie hat Mitte Januar ihre Wohnung in Stamberg verlassen, und niemand weiß, wo sie hin ist …«
»Du hast nachgeforscht?«
»Ein bisschen.« Er beugte sich über den Tisch. »Diese verdammte Hündin wird uns nicht erwischen!«
Innings schluckte.
»Hast du auch solche Musikanrufe
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