Die Frau mit dem Muttermal - Roman
antwortete Bart.
Münster fuhr Richtung Zentrum und beschloss im Stillen, dass sein Sohn mindestens ein paar Jahre älter werden musste, bis er ihn zu seinem nächsten Termin mitnehmen würde.
»In der Allgemeinen steht heute ein gründlich recherchierter Artikel über den Fall«, berichtete Winnifred Lynch. »Hast du den gelesen?«
»Nein«, antwortete Reinhart. »Warum sollte ich?«
»Die versuchen, ein Täterprofil zu erstellen.«
Reinhart schnaubte.
»Man kann nur ein Täterprofil erstellen, wenn es sich um einen Serienmörder handelt. Und selbst dann ist es eine ziemlich zweifelhafte Methode … obwohl es sich natürlich in der Presse gut macht. Die können über Mörder schreiben, die es gar nicht gibt. Für jede Fantasie den passenden. Was genau genommen sehr viel lustiger ist als die Wirklichkeit.«
Winnifred faltete die Zeitung zusammen.
»Ist es denn kein Serienmörder?«
Reinhart betrachtete sie über den Rand seines Buches hinweg. »Wenn wir in die Badewanne gehen, werde ich das ein wenig ausführen.«
»Nur gut, dass du eine so große Badewanne hast«, stellte Winnifred zehn Minuten später fest. »Wenn ich mich für dich entscheide, dann vor allem wegen der Badewanne. Nur, dass du dir nichts Falsches einbildest. Also?«
»Der Mörder?«
»Ja.«
»Nun ja, ich weiß nicht«, begann Reinhart und sank tiefer in den Schaum. »Natürlich kann es sich um einen Serientäter handeln, aber das ist nach nur zwei Morden fast nicht zu sagen.«
»Und diese Militärkameraden, haben sie etwas gebracht?«
Reinhart schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich nicht. Jedenfalls nicht die, mit denen ich gesprochen habe. Obwohl da noch was kommen kann. Es ist ja so verflucht einfach, etwas zu verheimlichen, wenn man es will. Wenn es etwas gibt, was man nicht gerne bekanntgeben will, dann hält man einfach die Klappe. Schließlich ist es dreißig Jahre her …«
Er lehnte seinen Kopf gegen den Badewannenrand und überlegte eine Weile.
»Es wird fürchterlich schwierig sein, überhaupt jemanden zu fassen. Wenn es bei den beiden Morden bleibt. Ganz gleich, wie viel Arbeitseinsatz wir zeigen, würde ich mal sagen.«
»Was meinst du damit?«
Reinhart räusperte sich.
»Rein hypothetisch gesehen. Sagen wir mal, ich würde mir vornehmen, jemanden umzubringen, ganz gleich, wen. Ich mache mich in der Nacht von Montag auf Dienstag um drei Uhr auf den Weg. Ich ziehe mich dunkel an, verberge mein Gesicht, gehe raus, stelle mich an einen günstigen Platz und warte. Dann schieße ich den ersten, der vorbeikommt, nieder und gehe nach Hause.«
»Mit Schalldämpfer.«
»Mit Schalldämpfer. Oder ich steche ihn mit einem Messer nieder. Was meinst du, wie groß die Chancen sind, dass ich gefasst werde?«
»Gering.«
»Verflucht gering. Und wenn ich es also tue – was glaubst du, wie viele Arbeitsstunden das die Polizei kostet? Verglichen mit der einen Stunde, die ich gebraucht habe.«
Winnifred Lynch nickte. Schob ihren rechten Fuß in Reinharts Achselhöhle und begann mit den Zehen zu wippen.
»Ich glaube, das ist eine gekränkte Frau«, sagte Winnifred nach einer Weile.
»Ich weiß.«
Er überlegte eine halbe Minute.
»Könntest du diese zwei letzten Schüsse abgeben?«
Sie überlegte.
»Nein. Jetzt nicht. Aber ich denke, das ist nicht unmöglich. Eine Frau kann dazu getrieben werden. Es ist ja wohl kaum unerklärlich, wenn man es recht überlegt. Ganz im Gegenteil.«
»Eine verrückte Frau läuft rum und schießt allen Männern die Schwänze ab? Und das mit gutem Grund?«
»Aus gewissen Gründen«, sagte Winnifred Lynch. »Nicht
mit gutem Grund, das ist was anderes. Und nicht irgendwelche Schwänze.«
»Vielleicht also gar nicht verrückt?«, fragte Reinhart weiter.
»Das hängt davon ab, wie man die Sache sieht. Gekränkt, wie gesagt. Vielleicht entwürdigend behandelt … nein, jetzt lass uns von was anderem reden, das deprimiert mich zu sehr.«
»Mich auch«, meinte Reinhart. »Soll ich mir das andere Bein vornehmen?«
»Ja, tu das«, sagte Winnifred Lynch.
Van Veeteren hatte verabredet, Renate am Sonntagnachmittag zu treffen, aber als er aus dem Fahrstuhl stieg, stellte er zu seiner Freude fest, dass die Entwicklung seiner Erkältung einen ausreichenden Grund bot, die Verabredung abzusagen. Alle Luftwege schienen verschleimt zu sein, und nur wenn er den Mund sperrangelweit offen hatte, konnte er überhaupt atmen. Dies war einer jener Tage, an denen er seine Mitmenschen nicht mit seiner
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