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Die Frau mit dem Muttermal - Roman

Die Frau mit dem Muttermal - Roman

Titel: Die Frau mit dem Muttermal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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kommen würde.
    Irgendwas musste schließlich getan werden. Zweimal hatte er selbst versucht, Kontakt zu bekommen, aber Biedersen war verreist gewesen. Auf dem Anrufbeantworter hatte er mitgeteilt, er würde am siebten zurück sein, aber als er es am siebten wieder versuchte, war immer noch die gleiche Nachricht zu hören.
    Es war natürlich auch am logischsten, dass Biedersen den ersten Schritt tat. Ohne weiter darüber nachzudenken, wusste er, dass es so war. Die Beziehung war ganz einfach so gewesen
    – Biedersen und Maasleitner, Malik und Innings. Wenn man überhaupt von Beziehungen sprechen konnte.
    Das Zweitnatürlichste wäre gewesen – und in jeder Stunde, die an diesen bedrohlichen, grauen Februartagen verging, spürte er, dass er sich dieser Lösung immer weiter näherte
    – , sich der Polizei anzuvertrauen. Der schüchterne Kriminalkommissar, der ihn aufgesucht hatte, hatte ihm Wärme und Vertrauen vermittelt, und ihm war klar, dass er in einer anderen Lage kaum gezögert hätte, alles zu erzählen.
    Vielleicht war ihm aber auch klar, dass das nur eine Ausflucht war, das mit der anderen Lage. Denn es gab immer etwas,
was einen hinderte. Man befand sich immer in Schwierigkeiten. Rücksichtnahmen – falsche wie echte – tauchten immer auf, und Unbequemlichkeiten konnte man nie ganz aus dem Weg gehen. Welche Lebenssituation wäre denn jemals die richtige, dass in ihr Derartiges zu Tage kommen könnte? Eine schreckenerweckende Leiche, die nach dreißigjährigem Schweigen plötzlich aus dem Schrank polterte.
    Vermutlich keine. Wenn er nachts wach lag und Ulrikes warmen Körper neben sich spürte, wusste er jedenfalls, dass es gerade jetzt einfach unmöglich wäre.
    Das sollte sie nicht erleben.
    Und es war natürlich nicht nur die Rücksicht auf Ulrike, auch wenn sie den größten Teil seiner Überlegungen einnahm. Sein ganzes neues Leben, dieses wunderbar sanfte und harmonische Dasein, das nunmehr bereits das zweite Jahr anhielt, mit Ulrike und ihren drei Kindern – sein eigenes und ihre beiden  –, ja, es würde sicher auch Belastungen aushalten, aber nicht diese hier. Nicht diese alte widerwärtige Schwärze.
    Die sich offensichtlich dazu entschlossen hatte, ihn noch einmal zu verfolgen. Die nie aufgab und nie wirklich gesühnt war. Dieser zweischneidige Schrecken lag während der Stunden des Wachseins unterschwellig auf der Lauer. Auf der einen Seite die Furcht vor der Entdeckung – und auf der anderen Seite das, was natürlich noch schlimmer war. Tagsüber erlaubte er seinen Gedanken kaum einen Augenblick der Ruhe. Er war gespannt wie eine Feder, wenn er in der Redaktion saß und sich auf seine Arbeit zu konzentrieren versuchte, die er seit mehr als fünfzehn Jahren in- und auswendig kannte. Sah man es ihm an?, überlegte er in immer kürzeren Intervallen. War es zu spüren?
    Offensichtlich nicht. In der täglichen Hetze und dem Stress konnte ein Mitarbeiter sogar unter seinen persönlichen Problemen zusammenbrechen, ohne dass irgendjemand es merken würde, das wusste er. Das war sogar schon passiert. Schlimmer war es natürlich mit Ulrike und den Kindern.
Man lebte eng zusammen, und man achtete aufeinander. Er konnte es auf seinen kaputten Magen schieben, und das tat er auch. Schlaflose Nächte bedeuteten nicht gleich ernsthafte Probleme.
    Bisher ging es noch. Aber die Steigerung war unausweichlich, und als er Biedersens rauen Dialekt am Donnerstagnachmittag im Hörer vernahm, spürte er mit einem Mal, dass er in letzter Minute anrief. Viel länger hätte das nicht mehr gehen können. Viel länger hätte er es nicht mehr ausgehalten.
     
    Auch wenn es nicht einfach war, das Ganze ernst zu nehmen, hatte er mit dem Gedanken gespielt, ob sein Telefon wohl abgehört wurde, und das hatte Biedersen offensichtlich auch. Er meldete sich nicht einmal mit Namen, und ohne Erwartung des Anrufs und den charakteristischen Dialekt hätte Innings kaum eine Möglichkeit gehabt, die Stimme zu erkennen.
    »Gruezi«, sagte er nur. »Wollen wir uns morgen Abend treffen?«
    »Ja«, antwortete Innings. »Das ist wohl besser.«
    Biedersen schlug ein Restaurant und eine Uhrzeit vor, und dann war das Gespräch beendet.
    Erst als Innings den Hörer aufgelegt hatte, wurde ihm klar, dass es in diesem quälenden Spiel noch eine weitere unbeantwortete Frage gab:
    Was brachten diese Überlegungen, die er gemeinsam mit Biedersen anstellen wollte, eigentlich mit sich?
    Und als er später des Nachts in seinem Bett lag, im

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