Die Frau mit dem Muttermal - Roman
Unsicherheiten mit sich brachte. Oder aber … oder aber er war gezwungen, sie aus dem Weg zu räumen, ohne dass irgendein Verdacht auf ihn fiele.
Sie zu ermorden, kurz gesagt.
Es waren auch nicht sehr viele Überlegungen notwendig, bis sein Entschluss feststand, sich für die letztere Alternative zu entscheiden.
Ganz einfach, ich bin der Mann dafür, dachte er. Und mir bleibt nichts anderes übrig.
Er spürte, wie etwas in ihm zum Leben erwachte, als er zu diesen Entschlüssen kam. Wie eine Stromquelle oder ein neuer Impuls. Eigentlich hatte er es schon die ganze Zeit über gewusst. So musste es ablaufen. Er zog seine Schreibtischschublade auf und holte die flache Whiskyflasche hervor, die er dort immer liegen hatte. Nahm zwei Schluck und spürte, wie sich der Entschluss in seinem Körper ausbreitete.
Der Entschluss war eigentlich nicht schwer zu treffen gewesen, umso mehr Probleme bereitete natürlich die Frage, wie er es anstellen sollte. Als er gegen vier Uhr nachmittags das Büro verließ, war er jedoch der Meinung, einen Plan zu haben.
Zumindest in groben Zügen.
Biedersen konnte kaum mehr als eine fromme Hoffnung haben, sie noch am gleichen Abend wiederzusehen, und als sie im Regen vorm Kellner’s auftauchte, hatte er das Gefühl, als würde etwas in ihm sich kurzschließen. Als würde der neue Puls einen oder zwei Schläge überspringen.
Er zwinkerte hastig und drehte sich um. Hob die Zeitung, um sein Gesicht zu verbergen, und hoffte, dass sie ihn nicht durchs Fenster entdeckt hatte.
Nach kurzer Zeit kam sie durch die Schwingtür herein. Schaute sich in dem ziemlich großen und gut besuchten Lokal um und fand dann einen freien Tisch, der weit von Biedersen entfernt war. Er verrückte seinen Stuhl ein bisschen und lehnte sich zurück, um sie besser beobachten zu können. Offensichtlich wollte sie etwas essen – Biedersen war nur auf ein Bier hereingekommen. Er sah, wie sie ihre Jacke über die Stuhllehne hängte, die Speisekarte lange und gründlich studierte
und wie sie dann ziemlich umständlich bei dem indischen Kellner etwas bestellte.
Inzwischen bezahlte Biedersen seine Rechnung, und im gleichen Moment, als der Inder mit ihrem Essen zurückkam, nutzte er die Gelegenheit, mit seiner Tasche auf die Toilette zu verschwinden. Er schloss hinter sich ab und holte den Inhalt aus seiner Tasche hervor – eine Perücke (die er vor zwanzig Jahren bei der Hochzeit eines guten Freundes für eine Unterhaltungseinlage getragen hatte und die seitdem im Keller gelegen hatte), einen amerikanischen Militärparka (den zu tragen er Rolv verboten hatte, als dieser noch bei ihnen wohnte), eine runde Brille unbekannter Herkunft. Sowie die Pistole; eine Pinchman, mit sechs Patronen geladen.
In dem zerkratzten Spiegel konnte er feststellen, dass ein völlig anderer Mann aus ihm geworden war. Es gab keinen Anlass zur Vermutung, dass dieser überwinterte Hippie identisch sein sollte mit dem in der Stadt gut bekannten, erfolgreichen Geschäftsmann W. S. Biedersen.
Gar keinen Anlass.
Sicherheitshalber beschloss er, draußen auf dem Markt auf sie zu warten. Eine Stunde lang wanderte er im Wind und dem feinen, durchdringenden Regen auf und ab. Nach einer Weile kaufte er sich am Kiosk Zigaretten und etwas später einen Hamburger. Aus der Telefonzelle rief er Innings an. Bekam ihn auch an die Strippe, beschränkte sich aber darauf, ihm zu erklären, dass möglicherweise etwas am Laufen sei und dass er später wieder von sich hören lassen würde. Wieweit Innings selbst eine Bereicherung oder eine Belastung darstellte, hatte er seit ihrem Treffen am Freitag noch nicht feststellen können, und vielleicht war es ja am besten, ihn ganz rauszuhalten. Zumindest neigte er im Augenblick dazu.
Es waren an einem nassen und windigen Abend wie diesem nicht viele Leute auf der Straße. Sein Aussehen und Verhalten schien keine neugierigen Blicke auf sich zu ziehen. Ihm
war klar, dass man ihn einfach für eine dieser verkrachten Existenzen hielt, eine ebenso normale wie beklagenswerte Erscheinung in jeder beliebigen Stadt oder Straße. Die perfekte Tarnung. Einmal wurde er sogar von einem Penner angesprochen – einem übel riechenden älteren Mann mit einem unbegreiflich schmutzigen Verband um die eine Hand –, aber es genügte, ihn zu bitten, sich doch um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern, dass er schnell in Ruhe gelassen wurde.
Die Uhr der Marienkirche hatte gerade neun geschlagen, als sie herauskam. Sie sah
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