Die Frau mit dem Muttermal - Roman
sich ein paarmal um, nach rechts und nach links. Dann überquerte sie schnell den Marktplatz – ging an ihm in ein paar Meter Abstand vorbei – und stieg in einen der Busse, die an der Bushaltestelle warteten.
Biedersen zögerte einige Sekunden lang, dann schlug er den gleichen Weg ein und stieg auch in den Bus. Er sah, dass der Bus nach Hengeloo fuhr, und löste eine Fahrkarte bis zur Endstation. Kaum hatte er sich sechs Reihen hinter sie gesetzt, da ruckte der Bus und fuhr los.
Ihm war klar, dass er sie nur mit viel Glück nicht aus den Augen verloren hatte, und beschloss, sich künftig so dicht wie möglich hinter ihr zu halten. Die Fahrt ging nach Westen. Durch Legenbojs und Maas. Anfangs saß noch etwa ein Dutzend Leute im Bus, meistenteils alte Frauen mit vollen Plastiktüten und Einkaufstaschen auf dem Schoß. Ein paar Teenager dösten ganz hinten mit laut aufgedrehtem Walkman, dass die Diskanttöne wie ein schneidendes Surren das dumpfe Dröhnen des Motors übertönten. Hier und da hielt der Fahrer und nahm neue Fahrgäste auf, der eine und andere stieg auch aus, aber nicht viele – bis man nach ungefähr fünfundzwanzig Minuten auf den Marktplatz von Berkinshaam einbog, wo sich die Hälfte der Leute erhob, um den Bus zu verlassen.
Für einen Moment verlor er sie aus dem Blickfeld; als ein paar der betagten Frauen aufstanden und mit ihren Taschen und Tüten herumwuselten, und als sie endlich aus dem Weg waren, sah er zu seiner Überraschung, dass der Platz, auf dem
sie gesessen hatte, leer war. Er stand auf und spähte nach vorn, aber es war offensichtlich, dass sie den Bus durch eine der vorderen Türen verlassen haben musste. Als er versuchte, durch die Seitenfenster hinauszugucken, erblickte er nur sein eigenes, nicht wiederzuerkennendes Gesicht und andere Reflexionen aus dem Businneren.
Mit einem schnell aufsteigenden Gefühl der Panik drängte er nach vorn. Kam auf den schlecht beleuchteten Platz und hatte das Glück, gerade noch ihren Rücken zu sehen – zumindest nahm er an, dass es ihr Rücken war, bevor sie in einer schmalen Gasse zwischen hohen, dunklen Häusergiebeln verschwand.
Er warf sich seine Tasche über die Schulter und eilte ihr nach, und als er an die enge Einmündung kam, konnte er sehen, wie sie ungefähr zwanzig Meter weiter in der Gasse um eine Ecke bog. Er schluckte. Ihm war klar, dass es kaum sinnvoll war, so hinter ihr herzurennen. Es gelang ihm, seine Aufregung zu meistern und seine Schritte zu verlangsamen. Gleichzeitig schob er die Hand in die Tasche und kontrollierte, ob die Pistole noch an ihrem Platz war. Er entsicherte sie und behielt den Finger am Abzug.
Als er bei der schummrigen Straßenlaterne an der Ecke angekommen war, stellte er fest, dass die Straße, in die sie eingebogen war, eine kleine Sackgasse war, die an einer Brandmauer endete. Etwa zwanzig Meter lang. Die hohen Gebäude auf der linken Seite gehörten anscheinend zu einer Fabrik. Ein Tor oder einen Eingang konnte er auf dieser Straßenseite nicht entdecken; das Einzige, was in der ganzen Gasse auf die Straße führte, war ein Portal des hohen Gebäudes rechter Hand, in dem vier oder fünf Wohnungen lagen.
Er ging darauf zu und konnte feststellen, dass der Eingangstrakt das ganze Haus durchzog und in eine Art Innenhof zu münden schien, der vom Licht einiger Fenster schwach erleuchtet war.
Biedersen blieb stehen. Machte ein paar Schritte in den
Eingang hinein und blieb wieder stehen. Der Geruch von etwas Unsauberem drängte sich in seine Nasenlöcher. Wie von einem Wasserschaden oder etwas Verrottetem. Er horchte, aber das Einzige, was er hörte, war der Regen, der irgendwo dort drinnen auf ein Blechdach trommelte. Und die leisen Geräusche eines Fernsehers, der bei offenem Fenster lief. Wahrscheinlich in einer der oberen Wohnungen, die zur Straße hinaus zeigten. Eine Katze kam angeschlichen und strich ihm zwischen den Beinen hindurch.
So eine Scheiße, dachte er und packte die Pistole fester.
Und ihm war klar, dass das Gefühl, das plötzlich in ihm aufstieg, Angst war und sonst nichts.
Ganz einfach nackte Angst.
24
Nachdem Innings von dem Restaurantbesuch mit Biedersen nach Hause gekommen war, versteckte er sofort die Tasche mit der Waffe draußen in der Garage in einer Kommode voller Gerümpel. Er wusste, dass das Risiko, dass Ulrike oder eines der Kinder sie dort finden würden, eigentlich gleich null war, und er hegte die Hoffnung, dass sie dort für immer liegen bleiben könnte. Oder
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