Die Frau mit dem Muttermal - Roman
Mörder eine Frau ist, und soviel ich weiß, gibt es in der Gruppe keine Frau.«
»Manchmal bist du richtig hellwach«, sagte der Hauptkommissar.
»Dankeschön. Aber wir dürfen eine Sache nicht vergessen.«
»Und was?«
»Es gibt nichts, was dagegen spricht, dass es sich hier um eine Frau handelt, die alle umbringen will, oder?«
»Es gibt sowieso wenig, was dagegen spricht, dass eine Frau so ziemlich alles kann«, seufzte Van Veeteren. »Aber wir müssen sie dran hindern, nicht wahr. Wollen wir uns an die Arbeit machen?«
»Ist wohl an der Zeit«, sagte Reinhart.
26
Die Entfernung zur Ortschaft Loewingen – dem letzten Tatort – betrug nicht mehr als gute dreißig Kilometer, und als er sich ins Auto setzte, tat es ihm leid, dass es nicht weiter war. Ein paar Stunden Autofahrt hätten nicht geschadet; bereits als er einstieg, spürte er den unbefriedigten Wunsch nach einer langen, ruhigen Fahrt. Gern durch eine graue, regenschwere Landschaft wie diese. Stunden, um nachzudenken.
Nun waren es stattdessen nur Minuten – die er zu einer halben Stunde dehnen konnte, indem er den Umweg über Borsens und Penderdixte nahm, wo er einige Sommer als Sieben-, Achtjähriger verbracht hatte.
Dass er seinen Besuch bis zu diesem Freitag hinausgezögert hatte, hatte eigentlich zwei Gründe. Zum einen hatten Münster und Rooth sowohl mit Ulrike Fremdli als auch mit den drei Teenagern bereits am Mittwochabend gesprochen, und es wäre wohl ganz gut, wenn die Polizei nicht jeden Tag angerannt kam. Und außerdem hatte der gestrige Tag genügend Arbeit mit sich gebracht.
Sogar zu viel. Am Nachmittag hatte er gemeinsam mit Reinhart die heikle Aufgabe übernommen, den Schutz für die bisher noch nicht Ermordeten (wie Reinhart sie hartnäckig nannte) zu organisieren.
Die fünf, die im Ausland lebten, waren zweifellos die dankbarste Gruppe. Nach einer kurzen Diskussion beschloss man, sie einfach außer Acht zu lassen; in einem Rundschreiben, das an alle Betroffenen geschickt wurde, wurde auch das erklärt sowie der Hinweis aufgeführt, sie möchten sich an die nächstgelegene Polizeistation in dem betreffenden Land wenden, falls sie sich in irgendeiner Weise bedroht oder verunsichert fühlten. Schließlich gab es gewisse Grenzen, wie Reinhart feststellte.
Was die im Inland Wohnenden, abgesehen von denen im Distrikt Maardam, betraf, verfuhr man auf ähnliche Weise.
Reinhart brauchte mehr als drei Stunden, um fast überall Kollegen anzurufen und ihnen jeweils die gleichlautende Order zu geben, dass sie Herrn Soundso beschützen sollten.
Das war kein besonders unterhaltsamer Job, und hinterher war Reinhart zu Van Veeteren gekommen und hatte darum gebeten, in Zukunft als Verkehrspolizist arbeiten zu dürfen. Doch der Hauptkommissar hatte ihm diesen Wunsch abgeschlagen.
So ein Tag war das gewesen.
In Maardam selbst gab es nunmehr noch insgesamt dreizehn potenzielle Opfer. Zu ihrem Schutz sammelte der Hauptkommissar eine – wenn man ehrlich war – ziemlich bunte Schar von Aspiranten und Beamten, die er dem vielversprechenden und eifrigen Widmar Krause überließ, der sie einwies und koordinierte.
Den restlichen Nachmittag und den Abend verbrachten Van Veeteren, Reinhart und Münster damit, weiterhin über den Charakter und die Identität des Mörders zu sinnieren. Gegen acht Uhr reichte es Reinhart.
»Schluss jetzt!«, rief er und warf das Papier, in dem er gerade las, auf den Tisch. »Man kann ja gar nicht mehr denken, wenn man die ganze Zeit ununterbrochen arbeiten muss.«
»Du kannst uns zu einem Bier einladen«, sagte Van Veeteren.
»In Ordnung. Und wohl auch zu Zigaretten, oder?«
»Höchstens die eine oder andere«, schlug der Hauptkommissar in aller Bescheidenheit vor.
Und genau das beschäftigte ihn auf der ersten Hälfte seiner Fahrt hinaus nach Loewingen.
Ich sollte nicht rauchen, dachte er.
Ich trinke zu viel Bier.
Keines von beidem ist gut für mich, auf keinen Fall die Zigaretten. Nach seiner Darmkrebsoperation vor fast einem Jahr hatte ihm ein ahnungsloser Arzt gesagt, ab und zu ein
Glas Bier würde nicht schaden – was Van Veeteren sich sofort ins Gedächtnis eingeprägt hatte, und er wusste, dass er diese Aussage nie vergessen würde, selbst wenn er 110 Jahre alt würde.
War es übrigens nicht auch so, dass eine einzelne Zigarette manchmal sogar das Denkvermögen schärfte?
Wie dem auch sei, ich sollte öfter mit Münster Badminton spielen, dachte er. Und manchmal joggen. Wenn ich nur
Weitere Kostenlose Bücher