Die Frau mit dem Muttermal - Roman
erst diese bescheuerte Erkältung los wäre!
Erst nachdem er den Bauernhof seiner Kindheit in Penderdixte hinter sich gelassen hatte, beschäftigte er sich wieder mit den Morden.
Drei Morde.
Drei Männer kaltblütig niedergeschossen.
In nicht mal einem Monat.
Das war natürlich allerhand. Wie er es auch drehte und wendete – wie er die Argumente austauschte oder die Prämissen verschob –, er brachte es nicht zusammen.
Die Fragen blieben offen.
Gab es überhaupt eine kleinere Gruppe innerhalb der Gruppe? Wenn nicht – wenn der Mörder hinter ihnen allen her war, dann musste es sich um einen Verrückten handeln. Mit einem unbegreiflichen, irrationalen und vermutlich vollkommen schwachsinnigen Motiv. Niemand hat eine in welcher Hinsicht auch immer annehmbare Begründung, 31 Menschen einen nach dem anderen zu erschießen.
Zumindest nicht nach Hauptkommissar Van Veeterens Maßstab. Ein derartig kalt berechnender Verrückter, das war der Gegner, den sie sich am allerwenigsten wünschten, darin waren sie sich alle rührend einig.
Aber wenn es nun eine kleinere Gruppe gab?
Van Veeteren fischte zwei Zahnstocher aus seiner Brusttasche, doch nachdem er auf ihnen kurz gekaut hatte, warf er sie auf den Boden und zündete sich stattdessen eine Zigarette an.
In dem Fall, dachte er nach dem ersten erlösenden Zug, musste Innings gewusst haben, dass er zu dieser Gruppe gehörte und in Gefahr war. Zweifellos.
Und dennoch hatte er den Mörder in sein Haus gelassen und sich niederschießen lassen. Wieso?
Da es schließlich unwahrscheinlich war, dass Innings eine Person eingelassen hatte, von der er wusste, dass sie ihn töten wollte, hatte er also nichts geahnt. Wenn er aber wusste, dass er in Gefahr war – dann war es doch ziemlich unwahrscheinlich, dass er ohne weiteres einen Fremden hereinließ?
Ergo, dachte der Hauptkommissar und verlangsamte seine Fahrt hinter einem Trecker, musste die Person, der Innings Tee anbot und von der er sich ermorden ließ, jemand gewesen sein, den er kannte und dem gegenüber er Vertrauen hatte.
»Oder?«, fragte er sich, während er den eifrig winkenden Bauern überholte. Ein Bekannter, das ist genauso beschissen!
Weiter kam er nicht.
Verflucht, dachte Van Veeteren. Ich hoffe nur, Reinhart findet die Lösung.
Loewingen war eine ausgedehnte Ortschaft mit wenig Industrie, noch weniger Mietskasernen und einer endlosen Reihe von Einfamilienhäusern. Trotz eines alten Stadtkerns aus dem Mittelalter war Loewingen eine typische Schlafstadt für Pendler – eine dieser unerträglichen Siedlungen des späten 20. Jahrhunderts, dachte Van Veeteren, als es ihm endlich gelungen war, den richtigen Vorort zu finden. Einförmig, langweilig und sicher.
Nun ja, das mit der Sicherheit war noch zu diskutieren. Ulrike Fremdli empfing ihn und platzierte ihn auf demselben Sofa, auf dem der Mörder vor ganz genau zwei Tagen gesessen haben musste. Sie war eine ziemlich kräftige Frau mit braunem, hochgekämmtem Haar und einem Gesicht, das früher vielleicht einmal schön gewesen war. Sie wirkte kurz angebunden und verkrampft, und er überlegte, ob sie etwas genommen
haben mochte, um sich selbst zu dämpfen; er meinte diesen Zustand zu kennen.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte sie kurz.
Er schüttelte den Kopf.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte er.
Sie betrachtete ihn mit schwarzen Augen.
»Schrecklich«, sagte sie. »Ich habe die Kinder zu meiner Schwester geschickt. Ich muss allein sein.«
»Kommen Sie zurecht?«
»Ja«, sagte sie. »Aber sind Sie so gut und stellen jetzt Ihre Fragen, ja?«
»Wie lange kannten Sie sich?«
»Seit 1986«, sagte sie. »Wir sind eineinhalb Jahre später zusammengezogen. Es gab vorher mit seiner früheren Frau eine Menge Schwierigkeiten.«
Van Veeteren überlegte einen Moment. Dann beschloss er, so viel wie möglich zu überspringen und direkt zur Sache zu kommen.
»Ich will es so kurz wie möglich machen«, sagte er. »Ich denke, das möchten Sie auch. Ich will den Mörder Ihres Mannes fassen, und dazu brauche ich die Antwort auf ein paar ganz spezielle Fragen.«
Sie nickte.
»Es ist wichtig, dass ich die richtigen Antworten bekomme.«
»Fangen Sie an.«
»Allright«, sagte Van Veeteren. »Glauben Sie, er hat gewusst, dass er in Gefahr war?«
»Ich weiß nicht«, sagte sie nach einer angespannten Pause, »… ich weiß es einfach nicht.«
»War er in letzter Zeit unruhig?«
»Ja, aber dafür gab es ja auch allen Grund, nicht wahr.«
Ihre
Weitere Kostenlose Bücher