Die Frau mit dem Muttermal - Roman
wäre das beispielsweise?«, wollte Jung wissen.
»Dass ihn etwas beunruhigte.«
»Woran war das zu merken?«
Cannelli seufzte und schaute aus dem Fenster.
»Nun ja«, sagte er, »ich hatte ja einige längere Gespräche mit ihm … über die Rubrikenverteilung, das Bildmaterial und so … das fand häufig statt, mehrmals in der Woche. Ja, und da war irgendwas mit seiner Konzentration. Er schien dazusitzen und an ganz was anderes zu denken …«
»Wie lange kannten Sie ihn schon?«
»Seit fünf Jahren«, erklärte Cannelli. »Seit ich die Zeitung von Windemeer übernommen habe. Er war tüchtig … Innings, meine ich.«
Jung nickte.
»Wissen Sie, ob er sich in letzter Zeit mit irgendwelchen fremden Leuten getroffen hat? Ob irgendjemand – oder irgendetwas – hier bei der Arbeit aufgetaucht ist, das mit seiner Unruhe in Verbindung gebracht werden könnte?«
Ihm war selbst klar, dass das eine ziemlich bescheuerte Frage war, und Cannelli beantwortete sein entschuldigendes Lächeln mit einem leichten Achselzucken.
»Inspektor, wir machen hier eine Zeitung. Da rennen den ganzen Tag Leute rein und raus … tut mir leid, aber ich glaube, in diesem Fall kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.«
Jung überlegte.
»Tja«, sagte er schließlich und klappte seinen Notizblock zu. »Wenn Ihnen noch was einfällt …«
»Natürlich«, sagte Cannelli.
Moreno saß bereits im Auto und wartete.
»Wie ist es gelaufen?«, fragte sie.
»Ziemlich nichts sagend«, erklärte Jung.
»Bei mir auch. Mit wie vielen hast du gesprochen?«
»Mit drei Leuten«, sagte Jung.
»Ich mit vier«, entgegnete Moreno. »Aber ich denke, eins ist zumindest klar.«
»Und was?«
»Er wusste, dass er in Gefahr war. Irgendwas war mit ihm, das sagen alle.«
Jung nickte und startete den Wagen.
»Zumindest wissen sie es hinterher, dass es so war«, sagte er.
»Schade, dass die Leute nie rechtzeitig reagieren.«
»Ja«, sagte Moreno. »Obwohl, wenn man sich um alle kümmern wollte, die etwas unruhig wirken, dann hätte man nicht mehr viel Zeit für anderes.«
»Das stimmt«, meinte Jung. »Wollen wir irgendwo einen Kaffee trinken? Das ist gut für die Nerven.«
»Okay«, stimmte Moreno zu.
27
Eineinhalb Tage lang zögerte sie.
Am Donnerstagabend las sie das erste Mal davon – in einer der Zeitungen im Bus auf dem Heimweg –, aber es dauerte bis lange in die Nacht hinein, bis der Verdacht in ihr aufkam. Mitten in einem Traum, der unmittelbar in der Dunkelheit des Unterbewusstseins verschwand, wachte sie auf und sah es vor sich.
Die besetzte Telefonzelle draußen in der Halle. Den Rücken hinter dem graugetönten Glas. Den kleinen Kassettenrecorder am Hörer. Sie hatte es nur ein einziges Mal gesehen, und das lag jetzt schon mindestens drei Wochen zurück. Dennoch gab es das Bild in ihr. Vom Dienstagabend. Sie wollte einen Kurskollegen anrufen und ihn etwas fragen, hatte aber sofort gesehen, dass das Telefon besetzt war. Insgesamt konnte es sich um nicht mehr als drei, vier Sekunden gehandelt haben, sie hatte nur die Tür geöffnet, die Tatsache festgestellt und war dann wieder in ihr Zimmer gegangen.
Fünf Minuten später war der Apparat frei gewesen, und sie hatte ihr Telefongespräch geführt.
Sonderbar, dass diese kurze, vollkommen bedeutungslose Sequenz sich ihr eingeprägt haben konnte. Jetzt, wo sie aus
dem Schlaf hochkam, konnte sie sich nicht daran erinnern, vorher irgendwann einmal daran gedacht zu haben.
Und natürlich war es das, diese vagen und etwas unbegreiflichen Begleitumstände, die sie zögern ließen.
Am Freitagnachmittag hatte sie sie auf der Treppe getroffen, auch das war an und für sich nichts Besonderes – eine vollkommen banale Alltäglichkeit –, aber als sie Samstag früh wieder mit einem Schrecken erwachte, wurde ihr klar, dass diese beiden trivialen Bilder irgendwie zusammenhingen.
Sie verschmolzen miteinander und weckten in ihr einen schrecklichen Verdacht.
Eigentlich hätte sie sich lieber zuerst mit Natalie beraten, aber Natalie war übers Wochenende zu ihren Eltern gefahren, und ihr Zimmer war leer. Nach einer frühen Joggingrunde im Park (die wegen des Regens kürzer als geplant ausfiel), Dusche und Frühstück, hatte sie ihren Beschluss gefasst. Irgendetwas hielt sie hartnäckig davor zurück, das Telefon in der Halle zu benutzen, stattdessen rief sie die Polizei von dem Kartengerät bei der Post an.
Die Uhr zeigte 9.34, und das Gespräch und ihre Informationen wurden von
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