Die Frau mit dem roten Herzen
heiraten, doch als er erfuhr, daß sie schwanger war, änderte er seine Absichten. Seine erste Frau hatte ihm keine Kinder geboren. Wen war verzweifelt. Sie dachte an Abtreibung, doch die Kommuneklinik unterstand seiner Kontrolle. Sie wollte fliehen, aber damals gab es noch keine öffentlichen Verkehrsmittel im Dorf. Die Bewohner mußten mit dem Kommunetraktor erst viele Kilometer bis zur nächsten Bushaltestelle fahren. Auch an Selbstmord dachte sie, doch als sie das Strampeln des Babys in ihrem Bauch fühlte, brachte sie es nicht über sich, Hand an sich zu legen.
Also vollzogen sie unter einem Foto des Großen Vorsitzenden eine »revolutionäre Eheschließung«, über die sogar der lokale Radiosender berichtete. Feng hielt sich nicht mit einer offiziellen Heiratsurkunde auf. Die ersten paar Monate reizte die kluge und großstädtische junge Frau seine sexuellen Begierden, doch bald verlor er das Interesse an ihr. Kurz nach der Geburt des Kindes begann er, sie zu mißhandeln.
Sie lernte schnell, daß Gegenwehr zwecklos war. Fengs Machtfülle war in jenen Jahren einfach zu groß. Anfänglich träumte sie noch davon, daß jemand ihr zu Hilfe käme, sie retten würde, doch diesen Gedanken gab sie bald auf. In ihrem zerbrochenen Spiegel erkannte sie, daß sie nicht mehr die Schönheit von damals war. Wer würde sich einer verhärmten, faltigen Bauersfrau annehmen, die, ihr Baby auf den Rücken gebunden, mit dem Ochsen die Reisfelder pflügte. Schließlich lernte sie ihr Schicksal erdulden, indem sie mit ihrer Vergangenheit in Shanghai völlig brach.
1977, nach dem Ende der Kulturrevolution, wurde Feng seiner Ämter enthoben. Machtgewohnt wie er war, wollte er keine einfachen bäuerlichen Arbeiten mehr verrichten, also mußte sie die Familie ernähren. Zu allem Übel konnte dieses perverse Monster jetzt all seine Zeit und Energie darauf verwenden, sie zu quälen. Und er hatte auch einen Grund. Unter anderem war er angeklagt worden, seine erste Frau verlassen und eine landverschickte Jugendliche verführt zu haben. Deshalb konnte er nun sie für seinen Abstieg verantwortlich machen und seine Wut an ihr auslassen. Als er merkte, daß sie sich von ihm scheiden lassen wollte, drohte er, sie und ihren Sohn umzubringen. Sie wußte, daß er zu allem fähig war. So liefen die Dinge weiter wie zuvor. In den frühen achtziger Jahren war er häufig »geschäftlich« unterwegs, doch wußte sie nie, was er wirklich trieb. Er verdiente nur wenig. Das einzige, was er nach Hause brachte, war Spielzeug für seinen Sohn. Nach dem Tod des Kindes wurde ihre Lage noch schlimmer. Er hatte andere Frauen und kam nur nach Hause, wenn er abgebrannt war.
Sie war nicht überrascht, als Feng erklärte, er werde in die Vereinigten Staaten gehen. Es erstaunte sie nur, daß er nicht schon früher ausgereist war. Über seine Pläne sprach er nie mit ihr. Für ihn war sie ein alter Lappen, der nutzlos geworden war. Im vergangenen November war er zwei Wochen am Stück zu Hause gewesen. Bald darauf merkte sie, daß sie wieder schwanger war. Er ließ sie einen Test machen. Als sich herausstellte, daß sie einen Sohn bekommen würde, veränderte sich sein Verhalten völlig. Er sprach mit ihr über seine Reise und versprach, sie nachzuholen, sobald er sich in den USA etabliert haben würde. Er wollte, daß sie dort mit ihm ein neues Leben begänne.
Sie verstand den Grund für diese abrupte Veränderung. Feng war nicht mehr jung. Es könnte seine letzte Chance auf einen Nachkommen sein. Dasselbe galt für sie. Daher bat sie ihn, seine Reise zu verschieben, aber er wollte nicht. Kurz nach seiner Ankunft in New York rief er sie an. Dann folgten mehrere Wochen unerklärlichen Schweigens. Schließlich teilte er ihr mit, daß er versuchte, ihren Nachzug zu organisieren, und daß sie einen Paß beantragen sollte. Sie war völlig durcheinander. Normalerweise warteten Frauen jahrelang auf ihre Nachzugsgenehmigung; manchmal mußten sie sogar illegal ins Land geschmuggelt werden. Während sie auf ihren Paß wartete, erhielt sie den Anruf, der sie so in Angst versetzte, daß sie nach Suzhou floh.
Es war ein langer Bericht, und man konnte ihm nur schwer folgen, da sie immer wieder von ihren Gefühlen übermannt wurde. Dennoch kämpfte sie sich tapfer voran und sparte schmerzliche Einzelheiten nicht aus. Chen verstand sie. Wen griff nach dem letzten rettenden Strohhalm: Sie hoffte, die Polizisten durch die Schilderung ihres elenden Lebens mit Feng dazu zu bringen,
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