Die Frau mit dem roten Herzen
gewandt hat.« Liu zündete sich eine Zigarette an.
»Nach unseren Informationen hätte sie Feng, ihren Mann, anrufen sollen, sobald sie an einem sicheren Ort wäre. Bislang hat sie das nicht getan. Und jetzt will sie trotz unserer Sicherheitsgarantien nicht zu ihm. Ihr Entschluß scheint festzustehen.«
»Hier kann sie bleiben, so lange sie möchte«, erwiderte Liu darauf. »Glauben Sie denn, daß sie dort ein gutes Leben hätte?«
»Viele Leute würden das so sehen. Schauen Sie sich nur die langen Wartelisten für Visa beim amerikanischen Konsulat in Shanghai an. Nicht zu reden von denen, die illegal ausreisen wie Wens Mann.«
»Ein gutes Leben an der Seite dieses Schweins?«
»Sie ist immer noch mit ihm verheiratet. Und wenn sie hierbleibt, bei Ihnen, was werden dann die Leute denken?«
»Mir ist allein wichtig, was sie denkt«, sagte Liu. »Als sie sich in ihrer Notlage an mich wandte, mußte ich ihr zumindest ein Obdach anbieten.«
»Sie haben viel für Wen getan. Ich habe das Bild auf ihrem Paßantrag gesehen. Heute sieht sie völlig verändert aus. Man glaubt kaum, daß es dieselbe Person ist.«
»Ja, sie ist wieder auferstanden. Sie werden diese Formulierung wohl für zu romantisch halten.«
»Nein, sie beschreibt die Sache genau, nur daß wir heutzutage nicht mehr in einem romantischen Zeitalter leben.«
»Romantik findet nicht dort draußen statt, Oberinspektor Chen. Romantik existiert nur im Geist«, sagte Liu und schüttelte den Kopf. »Sie wollten, daß ich Ihnen erzähle, was ich weiß, und das habe ich getan. Was haben Sie mir darauf zu sagen?«
»Lassen Sie mich gleichziehen«, sagte Chen, obwohl er wußte, daß er dazu nicht in der Lage war. »Ich bewundere Ihre Entschlossenheit, Wen zu helfen, deshalb erlaube ich mir, jetzt etwas ganz Persönliches zu äußern.«
»Bitte, nur zu.«
»Sie spielen mit dem Feuer.«
»Was meinen Sie damit?«
»Wen weiß um Ihre Gefühle für sie, nicht wahr?«
»Ich habe sie immer gemocht, schon in der Oberschule. Das ist lange her. Ich muß die Vergangenheit nicht wegwischen.«
»Aber Ihre Gefühle sind dieselben geblieben; Sie empfinden für die Mittvierzigerin, die mit dem Kind eines anderen schwanger ist, dasselbe wie für die Schulprinzessin von damals«, sagte Chen. »Sie sind ein Großverdiener, und es ist nur natürlich, daß eine Frau Ihnen zu Füßen liegt, zumal nach all dem, was Sie für Wen getan haben. Sie kann gar nicht anders, als Ihre Sympathie erwidern.«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen, Oberinspektor Chen.«
»Nein, das verstehen Sie nicht. Und zwar deshalb, weil Sie weiter Ihrem Jugendtraum nachhängen und diese Frau nur als Teil dieser schönen Erinnerung sehen. Solange Wen mit ihrer Rolle als irreale Traumfee zufrieden ist, mag das auch funktionieren zwischen Ihnen beiden. Doch nach einer Weile wird die reale Frau aus Fleisch und Blut dahinter zum Vorschein kommen. Eines romantischen Abends wird sie sich Ihnen in die Arme werfen. Und was werden Sie dann tun?« Chen konnte seinen Sarkasmus nicht unterdrücken. »Werden Sie nein sagen? Das wäre gar zu grausam. Und wenn Sie ja sagen, was geschieht dann mit Ihrer Familie?«
»Wen weiß, daß ich verheiratet bin. Ich glaube nicht, daß sie so etwas tun würde.«
»Das glauben Sie nicht? Also werden Sie die alte Schulfreundin über Monate, womöglich über Jahre hier wohnen lassen. Ja, Sie schätzen sich glücklich, ihr helfen zu können. Aber wird sie es auch schätzen, ständig ihre Gefühle unterdrücken zu müssen?«
»Was schlagen Sie denn verdammt noch mal vor? Soll ich sie vielleicht vor die Tür setzen? Sie einem Ehemann in die Arme treiben, der sie mißhandelt?« erwiderte Liu wütend. »Oder sie einer Bande ausliefern, die sie wie ein Kaninchen jagt?«
»Genau darüber wollte ich mit Ihnen reden.«
»Worüber?«
»Über die Drohungen der Geheimgesellschaft. Während wir hier sitzen, sind diese Kerle fieberhaft auf der Suche nach ihr. Wie auch immer das Präsidium auf meinen Bericht reagieren wird, ich kann nicht umhin, ihn zu schreiben. Jedenfalls bin ich überzeugt, daß die Triade sehr bald herausfinden wird, daß Wen sich hier aufhält.«
»Wie denn?« wollte Liu wissen. »Die Polizei wird doch die Information nicht an diese Kriminellen weiterleiten?«
»Das nicht, aber Triaden haben ihre Maulwürfe. Genauso wie sie von dem Handel erfahren haben, auf den Feng sich eingelassen hat, werden sie auch Wens Aufenthaltsort rauskriegen.
Weitere Kostenlose Bücher