Die Frau mit dem roten Herzen
eine Frau zum Bahnhof bringen. Solange die beiden Richtung Bahnhof unterwegs sind, soll man ihnen in diskretem Abstand folgen. Falls sie eine andere Richtung einschlagen, müssen sie sofort festgehalten werden. In der Zwischenzeit ist auf verdächtige Personen zu achten.«
»Keine Sorge. Die verstehen ihr Handwerk.« Fan warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Sie haben noch mehrere Stunden bis zur Abfahrt. Da es Inspektor Rohns erster Besuch in Suzhou ist, schlage ich ein typisches Suzhouer Abendessen vor. Was halten Sie vom Restaurant Kiefer und Kranich?«
»Ich fürchte, das müssen wir verschieben, Direktor Fan«, sagte Chen und erhob sich.
»Dann sehen wir uns am Bahnhof«, entgegnete Fan und begleitete sie bis zur Tür, wo Honghua ihnen zwei Bambuskästchen reichte. »Souvenirs aus Souzhou. Ein Pfund Tee für jeden. Erstklassiger Wolken- und Nebel-Tee, eine Sorte, die früher dem Kaiser vorbehalten war.«
Im Shanghaier Kaufhaus Nummer Eins hätte man dafür leicht fünfhundert Yuan hinlegen müssen, doch Fan hatte den Tee vermutlich billiger bekommen. Seine Leute patrouillierten in den Teeplantagen. Dennoch war es ein kostbares Geschenk.
»Vielen Dank, Direktor Fan. Ich bin überwältigt.« Das würde ein wunderbares Mitbringsel für seine Mutter abgeben, die sich mit Tee auskannte. Chen hatte ein schlechtes Gewissen, daß er sie vor der Abfahrt aus Shanghai nicht mehr angerufen hatte.
Der Rückweg zum Hotel dauerte zehn Minuten, und in weiteren fünf Minuten hatte er gepackt. Von Inspektor Rohns Zimmer aus rief er Liu an und informierte ihn über die Reisepläne. Liu sagte, er werde Wen zum Bahnhof bringen.
Sein nächster Anruf galt Hauptwachtmeister Yu. »Wir haben Wen Liping gefunden, Hauptwachtmeister Yu.«
»Wo, Oberinspektor Chen?«
»In Suzhou. Sie war bei Liu Qing, ihrem früheren Klassenkameraden, einem der Dichter aus dieser Anthologie. Aber das ist eine lange Geschichte. Ich erzähle sie Ihnen, sobald wir wieder in Shanghai sind. Wir nehmen den Nachtzug nach Fuzhou. Wen möchte noch ein paar Sachen aus ihrem Haus holen.«
»Gut, dann erwarte ich Sie am Hauptbahnhof.«
»Nein. Das ist nicht nötig. Peiqin wartet zu Hause auf Sie. Fliegen Sie noch heute nach Shanghai zurück. Wir haben einen Sonderfond. Und kein Wort über unsere Pläne zu den Kollegen.«
»Geht in Ordnung. Und vielen Dank auch, Chef.«
Schließlich rief Chen beim Polizeipräsidium in Fuzhou an. Ein jüngerer Beamter mit Namen Dai sagte ihm, Dienststellenleiter Hong sei derzeit nicht in seinem Büro.
»Ich möchte, daß Beamte Ihres Präsidiums mich morgen nachmittag am Bahnhof in Fuzhou abholen. Am besten mit einem Kleinbus«, sagte Chen. Er erwähnte nicht, daß Inspektor Rohn und Wen Liping ihn begleiten würden.
»Kein Problem, Oberinspektor Chen. Es handelt sich um einen international bedeutenden Fall. Wir sind informiert.«
»Danke.« Chen legte auf und wunderte sich, weshalb alle so gut informiert waren.
Catherine rief ihre Dienststelle in Washington an, wo es früher Morgen war. Sie hinterließ eine Botschaft, daß sie in wenigen Tagen zusammen mit Wen eintreffen würde.
Es war kurz nach fünf; ihnen blieb also noch viel Zeit bis zur Abfahrt. Sie begann, ihre Sachen aus dem Schrank zu nehmen und zu packen. Plötzlich lasteten die Stunden schwer auf Chen. Während er aus dem Fenster starrte, bemerkte er zum ersten Mal, daß sie von verfallenden Häusern umgeben waren. Vielleicht hätten sie doch kein Hotel in Bahnhofsnähe wählen sollen.
»Was bedeutet der Ausdruck ›Leute östlich des Flusses‹?« fragte Catherine, während sie ihre Kosmetika in einem kleinen Täschchen verstaute.
»Das bezeichnet die Daheimgebliebenen, die große Hoffnungen in einen setzen. Fürst Chu wurde im Jahr zweihundert vor Christus in einer Schlacht geschlagen und erklärte daraufhin, er könne seinem Volk östlich des Flusses nicht mehr unter die Augen treten. Er beging Selbstmord am Ufer des Flusses Wu.«
»Ich habe ein Plakat von einer Peking-Oper mit dem Titel Abschied von der kaiserlichen Konkubine gesehen. Da geht es doch auch um den stolzen Fürsten Chu, nicht wahr?«
»Ja, das ist derselbe.« Doch Chen war nicht zu weiteren Plaudereien aufgelegt.
Diese Reise in die Provinz Fujian bereitete ihm zunehmend Kopfzerbrechen. Wen hatte entschlossen gewirkt, aber jede Verzögerung bedeutete ein neues Risiko.
Er entschuldigte sich und ging eine Zigarette rauchen. Am anderen Ende des Korridors sah er Gäste, die
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