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Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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Waschschüsseln mit Kleidung in einen langgestreckten Waschraum mit mehreren Waschbecken trugen, den der Hotelbesitzer auch ihm gezeigt hatte. Eine Waschmaschine gab es hier nicht. Er trat an das Fenster am Ende des Korridors. Daneben führte eine Tür in ein Treppenhaus, über das man auf eine kleine Dachterrasse gelangte. Dort hängte eine junge Frau ihre tropfende Wäsche auf eine Leine. Sie trug einen knappen Slip und sah mit ihren nackten Beinen und Füßen wie eine Turnerin aus, die jederzeit mit ihrer Darbietung beginnen könnte. Ein junger Mann trat hinter den aufgehängten Wäschestücken hervor und schloß sie trotz der glitzernden Schweißperlen auf ihren Schultern in die Arme. Ein Paar auf Hochzeitsreise, vermutete Chen und kniff die Augen im Qualm seiner Zigarette zusammen.
    Die meisten Leute hier lebten in bescheidenen Verhältnissen und nahmen klaglos die Unannehmlichkeiten billiger Hotels in Kauf.
    Er fragte sich, ob er für Wen das Richtige getan hatte.
    Würde sie mit Feng ein gutes Leben in diesem fernen Land führen können? Da sie selbst die Antwort kannte, hatte sie sich für Suzhou entschieden. Ihre besten Jahre waren in der Kulturrevolution und deren Nachwehen vergeudet worden, nun klammerte sie sich an den letzten ihr verbliebenen Traum, ein Leben mit Liu.
    Was hatte er getan? Ein Polizist wurde nicht für sein Mitgefühl bezahlt.
    Während er aus dem Fenster starrte, kamen ihm einige Gedichtzeilen in den Sinn …
    »Woran denken Sie?« Inspektor Rohn trat neben ihn ans Fenster.
    »Nichts Bestimmtes.« Er war verwirrt. Ohne ihre Einmischung wäre Wen vermutlich bei Liu geblieben, aber er wußte, daß es ungerecht war, Inspektor Rohn die Schuld dafür zu geben. »Wir haben unsere Arbeit getan.«
    »Wir haben unsere Arbeit getan«, wiederholte sie. »Um genau zu sein: Sie haben sie getan, und zwar hervorragend.«
    »Hervorragend, in der Tat.« Er drückte seine Zigarette am Fenstersims aus.
    »Was haben Sie Liu in seinem Arbeitszimmer erzählt?« fragte sie und berührte leicht seine Hand. Sie mußte seinen Stimmungsumschwung bemerkt haben. »Es kann nicht einfach gewesen sein, ihn umzustimmen.«
    »Man kann ein und dieselbe Sache aus vielen verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Ich habe ihm lediglich eine andere Perspektive aufgezeigt.«
    »Eine politische Perspektive?«
    »Nein, Inspektor Rohn. Nicht alles hier ist politisch.« Er bemerkte, daß das junge Paar von der Dachterrasse zu ihnen herübersah. Was würden sie aus ihrer Perspektive von dem Chinesen und der Amerikanerin halten, die da am Fenster standen? Er wechselte das Thema: »Tut mir leid, daß ich die Essenseinladung abgelehnt habe. Vermutlich wäre es ein üppiges Mahl geworden. Mit zahlreichen Trinksprüchen auf die Völkerfreundschaft. Ich war einfach nicht in der Stimmung.«
    »Sie haben ganz richtig entschieden. Jetzt haben wir endlich Gelegenheit, einen der Gärten zu besuchen.«
    »Sie wollen einen Garten besichtigen?«
    »Ich bin doch noch in keinem einzigen gewesen«, sagte sie. »Wenn wir sowieso warten müssen, dann lieber dort.«
    »Gute Idee. Ich muß nur noch kurz telefonieren.«
    »In Ordnung. Ich mache solange ein paar Aufnahmen von der Hotelfassade.«
    Erwählte Gus Nummer. Jetzt, wo sie Suzhou verlassen würden, konnte er riskieren, ihn in Shanghai anzurufen.
    »Wo sind Sie, Oberinspektor Chen?« Gu klang ehrlich besorgt. »Ich habe überall nach Ihnen gesucht.«
    »Auf dem Weg in eine andere Stadt. Was wollten Sie mir mitteilen, Gu?«
    »Daß einige Leute hinter Ihnen her sind. Sie müssen vorsichtig sein.«
    »Wer sind diese Leute?«
    »Sie gehören einer internationalen Organisation an.«
    »Erzählen Sie mir mehr.«
    »Ihr Hauptquartier ist in Hongkong. Bislang habe ich noch nicht viel rausgekriegt. Ich kann augenblicklich nicht reden. Können wir nicht darüber sprechen, wenn Sie zurück sind, Oberinspektor Chen?«
    »Gut.« Wenigstens war es nicht die Innere Sicherheit.
    Catherine wartete vor dem Hotel auf ihn. Sie wollte ein Bild von ihm neben dem vergoldeten Bronzelöwen machen. Er legte die Hand auf den Rücken des Tieres, doch er fühlte sich nicht wie Bronze an. Bei genauerem Hinsehen merkte er, daß es sich um Plastik handelte, das man bronzefarben gestrichen hatte.
     



32
     
    C HEN WAR NOCH IMMER in düsterer Stimmung, und diese schien ansteckend zu sein. Auch Catherine wirkte bedrückt, als sie die qingzeitliche Landschaft des Yi-Gartens betraten.
    Sie spürte, daß ihn etwas beschäftigte, und

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