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Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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anderer es in die Hand bekäme.
    Nachdem sie ihren Text abgeschickt hatte, ging sie auf einen schnellen Imbiß ins Hotelrestaurant. Zurück im Zimmer stellte sie sich noch einmal unter die Dusche. Sie war noch immer nicht müde. In ihr Badetuch gewickelt, blickte sie wieder hinunter auf den erleuchteten Fluß. Sie entdeckte ein Schiff mit gestreifter Flagge, konnte aber aus der Entfernung den Namen nicht erkennen; vermutlich war es ein amerikanisches Kreuzfahrtschiff, das über Nacht auf dem Huangpu vor Anker gegangen war.
    Gegen vier Uhr früh nahm sie zwei Dramamin-Tabletten. Sie hatte sie gegen Reisekrankheit mitgenommen, doch jetzt war es ihr einschläfernder Effekt, den sie brauchte. Zusätzlich holte sie sich ein Budweiser aus dem Kühlschrank; der chinesische Name Baiwei bedeutete »hundertmal machtvoller«. Die Brauerei Anheuser-Busch betrieb ein Joint Venture in Wuhan.
    Als sie sich vom Fenster abwandte, erinnerte sie sich an ein Gedicht aus der Song-Dynastie, das sie während ihres Studiums analysiert hatte. Es handelte von der Einsamkeit eines Reisenden, die dieser angesichts herrlichster Landschaft empfunden hatte. Während sie versuchte, sich die Zeilen ins Gedächtnis zu rufen, schlief sie ein.
    Der Wecker auf dem Nachttisch weckte sie. Sie rieb sich die Augen und fuhr hoch, ohne zu wissen, wo sie war. Es war 9 Uhr 45. Keine Zeit für eine Dusche. Sie zog ein T-Shirt und eine alte Jeans über und verließ ihr Zimmer in den Wegwerfschlappen des Hotels, die papierdünn waren und aus demselben Material gemacht zu sein schienen wie die durchsichtigen Regenmäntel. Auf dem Weg zum Kommunikationszentrum fuhr sie sich im Aufzug noch schnell mit einem Taschenkamm durchs Haar.
    Das Fax für sie traf genau zur verabredeten Zeit ein, und sein Inhalt war ergiebiger, als sie erwartet hatte. Fengs Anruf am fünften April wurde bestätigt und war auf Band mitgeschnitten worden. Ed hatte den Inhalt übersetzen lassen. Als künftiger Zeuge war es Feng nicht gestattet, Informationen über seinen Status im Schutzprogramm weiterzugeben. Ed konnte sich nicht vorstellen, daß Feng etwas gesagt hatte, das Wens Verschwinden verursacht haben könnte. Ferner wurde ihrem Vorschlag nach einer Beteiligung an den Ermittlungen zugestimmt. Was die Hintergrundinformationen über Chen betraf, so schrieb Ed: »Ich habe mich mit der CIA in Verbindung gesetzt. Sie werden uns Oberinspektor Chens Akte zuschicken. Nach dem, was ich vorab erfahren konnte, muß man ihn im Auge behalten. Er wird dem liberalen Reformflügel der Partei zugerechnet. Außerdem ist er Mitglied des Schriftstellerverbandes. Er gilt als ehrgeiziger und aufstrebender Parteikader.«
    Als sie mit dem Fax in der Hand aus dem Büro trat, sah sie Chen in der Lobby sitzen und eine englische Illustrierte durchblättern. Ein Blumenstrauß lag auf dem Stuhl neben ihm.
    »Guten Morgen, Inspektor Rohn.« Chen erhob sich, und sie bemerkte, daß er größer war als die meisten Leute in der Hotelhalle. Er hatte eine hohe Stirn, wachsame schwarze Augen und ein intelligentes Gesicht. In seinem schwarzen Anzug hätte man ihn eher für einen Intellektuellen denn für einen Polizisten gehalten. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt von dem, was sie gerade über ihn gelesen hatte.
    »Guten Morgen, Oberinspektor Chen.«
    »Das ist für Sie.« Chen überreichte ihr die Blumen. »Gestern ging im Präsidium alles drunter und drüber, und bei meiner überstürzten Fahrt zum Flughafen hatte ich keine Zeit mehr, einen Begrüßungsstrauß für Sie zu besorgen. Hier, anläßlich Ihres ersten Morgens in Shanghai.«
    »Vielen Dank. Die sind wunderschön.«
    »Ich habe in Ihrem Zimmer angerufen, aber niemand meldete sich. Also habe ich hier auf Sie gewartet. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.«
    Sie hatte nichts dagegen. Die Blumen waren eine Überraschung. Dennoch fühlte sie sich, wie sie so in ihren Plastiklatschen und mit zerzaustem Haar neben ihm stand, irritiert von seiner förmlichen Höflichkeit. Das erwartete sie nicht von einem Kollegen; sie schätzte es nicht, wenn man ihr durch die Blume zu verstehen gab, daß sie »nur« eine Frau war.
    »Gehen wir hinauf in mein Zimmer, dort können wir reden.«
    Als sie ins Zimmer traten, forderte sie ihn auf, sich zu setzen, und nahm eine Vase von einem Beistelltischchen. »Ich versorge nur eben die Blumen.«
    »Haben Sie gut geschlafen?« fragte Chen und ließ den Blick durch den Raum schweifen.
    »Nicht wirklich, aber es muß genügen.« Sie

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