Die Frau mit dem roten Herzen
mischte.
An der Wand hing ein rotes Plakat, auf dem die Ursprünge der yanpi, mit ihrer Teighülle und der Fischfüllung, erklärt wurden. Chen bestellte sich eine Portion, die delikat schmeckte, obwohl die Brühe einen deutlichen Fischgeschmack hatte. Nachdem er mit etwas Essig und gehackte Frühlingszwiebeln abgeschmeckt hatte, war sie gleich noch besser. Er fragte sich, wie andere, nicht in Fujian gebürtige Gäste dieses Gericht fanden. Als er fertig gegessen hatte, fiel ihm noch etwas anderes auf.
Das Lokal lag in der Nähe von Wen Lihuas Wohnung, der Wohnung also, in der auch die verschwundene Schwester Wen aufgewachsen war. Zu Fuß waren es keine fünf Minuten dorthin.
Er ging zu dem Besitzer, der noch immer an seinem Wok stand. »Erinnern Sie sich an einen Gast, der vor ein paar Tagen mit einem teuren Auto hier vorgefahren ist?«
»Wir sind die einzigen in der Stadt, die echte yanpi anbieten. Da kann es schon vorkommen, daß die Leute für eine Schale quer durch Shanghai fahren. Ich kann mir doch nicht alle Kunden merken, bloß weil sie besondere Autos fahren.«
Chen streckte ihm seinen Dienstausweis zusammen mit einem Foto des Ermordeten aus dem Park hin. »Kennen Sie diesen Mann?«
Der Besitzer schüttelte erstaunt den Kopf. Die junge Frau trat zu ihnen, warf einen Blick auf das Bild und sagte, sie könne sich an einen Gast erinnern, der eine lange Narbe im Gesicht gehabt habe, war sich aber nicht sicher, ob es derselbe Mann war.
Chen bedankte sich bei ihr. Er beschloß, zu Fuß zum Büro zurückzugehen. Manchmal klärten sich beim Gehen seine Gedanken, doch nicht an diesem Nachmittag. Im Gegenteil, als er sein Büro erreichte, war er verwirrter denn je.
Dort erwartete ihn nur eine Nachricht, und zwar von der Städtischen Arbeitsvermittlungsstelle, die ihm einige Namen und Telefonnummern von privaten Job-Agenturen zusammengestellt hatte. Nachdem er eine Stunde lang herumtelefoniert hatte, kam er zu dem Ergebnis, daß die Lage auf dem privaten Vermittlungssektor praktisch dieselbe war. Für eine Schwangere mittleren Alters war es nahezu unmöglich, in Shanghai eine Stelle zu finden.
Gus Metapher kam ihm wieder in den Sinn, während er die Papiere auf seinem Schreibtisch ordnete. Das Telefon klingelte unaufhörlich, und der allgemeine Druck verstärkte sich. Er stand auf und machte ein paar Tai-Chi-Sequenzen in seinem winzigen Büro. Doch auch das konnte seine Spannung nicht lösen, die Übungen ließen vielmehr die Bilder von dem ungelösten Bund-Park-Mord wieder in ihm aufsteigen. Er hätte wohl all die Jahre regelmäßig üben sollen; wie der ältliche Buchhalter, der jetzt inneren Frieden genoß und im Einklang mit seinem qi und der Welt lebte.
Was hätte sein können, tauchte wie eine Blume im Spiegel oder wie der Mond im Wasser vor ihm auf, so lebensecht, daß er danach greifen zu können glaubte, und doch war es Illusion.
Und wie sollte er sich zu dem Vorschlag mit dem »Urlaub« in Peking verhalten? Es handelte sich nicht, wie Parteisekretär Li vermutete, um eine persönliche Entscheidung, die nur sein Privatleben betraf. In China war das Private kaum je vom Politischen zu trennen. Natürlich hätte er mehr um Ling werben können, aber ihr privilegierter Status hielt ihn davon ab, weitere Schritte zu unternehmen.
War es wirklich so schwer, sich ein Herz zu fassen und jene zu ignorieren, die ihn einen politischen Aufsteiger nannten?
Spontan griff er zum Hörer und versuchte, sich an ihre Pekinger Nummer zu erinnern, rief dann aber statt dessen Inspektor Rohn an.
»Ich habe schon den ganzen Nachmittag versucht, Sie zu erreichen, Oberinspektor Chen.«
»Tatsächlich?«
»Sie hatten wohl Ihr Handy ausgeschaltet.«
»Ja, ich habe mehrmals nur einen Faxton gehört und habe es daraufhin ausgeschaltet. Dann muß ich es wohl vergessen haben.«
»Weil ich Sie nicht erreichen konnte, habe ich es bei Hauptwachtmeister Yu probiert.«
»Was gibt es denn?«
»Wen wurde gesehen, wie sie am Abend des fünften April das Dorf verlassen hat. Statt den Bus zu nehmen ist sie per Anhalter gefahren und ein Lastwagen hat sie fast bis zum Bahnhof mitgenommen. Der Laster mußte einige Kilometer vorher abbiegen. Dort ist Wen ausge stiegen. Der Fahrer hat sich heute morgen im Polizeirevier gemeldet. Die Beschreibung paßt, nur war er sich nicht sicher, ob die Frau schwanger war.«
»Das ist schon möglich. Wen ist ja erst im vierten Monat. Hat sie erwähnt, wohin sie wollte?«
»Nein, sie könnte ohne
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