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Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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versprach, das umgehend zu erledigen. Dann kam er auf die Sache mit dem Parkplatz zu sprechen. Es handele sich um einen Ermessensfall, erklärte sie. Wenn das Gelände nicht als Parkplatz für den Club ausgewiesen würde, könnte die Stadt vermutlich anderweitig Gewinn damit erzielen. Sie müsse sich da noch einmal genau informieren. Gegen Ende ihres Gesprächs hörte sie seine Mutter im Hintergrund husten und bestand darauf, »Tante Chen« zu begrüßen.
    Als das Gespräch zu Ende war, erschien ein resigniertes Lächeln auf dem Gesicht seiner Mutter, und sie begann von neuem, die Gerichte aufzuwärmen. Bald war die Dachkammer erfüllt vom strengen Geruch des kleinen Kohleofens. Weil er so schwer war, konnte sie ihn nicht jedesmal hinaus auf den Treppenabsatz tragen. Bevor er in seine eigene Wohnung gezogen war, hatte es zu seinen Aufgaben gehört, den Ofen hinauszutragen und abends wieder hereinzuholen. Das Treppenhaus war so eng, daß im Dunkeln immer wieder Kinder gegen den Ofen stießen. Aber seine Mutter wollte nicht zu ihm in die Zwei-Zimmer-Wohnung ziehen, obwohl er ihr das angeboten hatte.
    Sein Vater blickte, die hohe Stirn von Sorgenfalten gefurcht, melancholisch von dem gerahmten Schwarz-Weiß-Foto auf ihn herab.
    Chen probierte von dem Tofu, der mit Sesamöl und gehackten Frühlingszwiebeln angemacht war, und schaufelte geistesabwesend eine Schale wäßrigen Reis in sich hinein.
    Als er gerade gehen wollte, klingelte das Handy schon wieder. Er schaltete es an und hörte den Faxton. Das Signal wurde wiederholt. Frustriert schaltete er das Gerät ab.
    »Ich sehe, daß du erfolgreich bist, mein Sohn, mit dem Dienstwagen und deinem tragbaren Telefon, auf dem dich diese Sekretärin und ein Generalmanager während der Mittagspause anrufen«, sagte seine Mutter, während sie ihn bis an die Haustür begleitete. »Du bist jetzt Teil des Systems, das verstehe ich.«
    »Nein, ich glaube nicht, daß ich Teil davon bin. Aber man muß innerhalb des Systems arbeiten.«
    »Dann tu etwas Gutes«, sagte sie. »In den buddhistischen Schriften steht: ›Selbst das Picken eines Vogelschnabels ist vorherbestimmt und hat seine Folgen/«
    »Ich werde darüber nachdenken, Mutter«, erwiderte er.
    Er glaubte zu verstehen, warum seine Mutter immer wieder von guten Taten und ihren buddhistischen Schriften sprach. Aus Sorge über sein Junggesellentum verbrannte sie täglich Weihrauch für die Göttin Guanyin und betete, daß die Vergeltung für eventuelle Sünden der Familie sie statt ihn treffen sollte.
    »Tante Chen! Wie mich das freut!« Der Kleine Zhou sprang mit einem halben Dampfbrötchen in der Hand aus dem Wagen. »Wann immer Sie einmal den Wagen brauchen – Anruf genügt. Wer Oberinspektor Chen fährt, fährt auch Sie!«
    Seine Mutter schüttelte den Kopf, während der Wagen davonfuhr, aber sie registrierte die neidischen Blicke der Nachbarn durchaus.
    Der Kleine Zhou spielte von einer CD die Internationale in Rock-Version, doch die heroischen Worte konnten Chens Stimmung nicht heben. Er bat den Fahrer, ihn an der Ecke Fuzhou und Shandong Lu aussteigen zu lassen. »Ich möchte mich noch in den Buchläden umsehen. Warten Sie nicht auf mich. Ich werde zu Fuß ins Präsidium gehen.«
    Hier in der Nähe gab es gleich mehrere Buchläden, staatseigene und private. Am liebsten wäre er in das Antiquariat gegangen, wo er das Buch seines Vaters über die Zufälligkeit von Geschichte erstanden hatte. Die Argumentation war ihm wieder entglitten, aber er erinnerte sich an die Fabel von der verwöhnten Palastziege, die zum Fall der Jin-Dynastie beigetragen hatte. Auch das Poster mit dem Bikini-Girl fiel ihm wieder ein, das der Buchhändler ihm als Dreingabe hatte geben wollen, das er aber zurückgewiesen hatte. Er war in der Tat ein pietätloser Sohn, der sich weit von den Erwartungen seines Vaters entfernt hatte.
    Er widerstand der Versuchung und ging statt dessen in das kleine Lokal auf der anderen Straßenseite, in dem eine besondere Sorte von Teigtäschchen angeboten wurde. Wie das privat geführte Antiquariat, so war auch der Gastraum eine umgebaute Wohnung. Ein einfaches Schild verkündete in schwungvollen Schriftzeichen: YANPI-SUPPE. An der Ladenfront schob ein Mann in mittlerem Alter eine Portion Teigtaschen in einen großen Wok. Das Lokal verfügte über nur drei Tische. Vor einem Trennvorhang im rückwärtigen Teil des Raums stand eine junge Frau und knetete sahnefarbenen Teig, in den sie Reiswein und gehacktes Aalfleisch

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