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Die Frau mit dem roten Herzen

Die Frau mit dem roten Herzen

Titel: Die Frau mit dem roten Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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entsprach einem Blutschwur, der die Schwurbrüder in Glück und Unglück zusammenschweißte. Gu hielt ebenfalls ein Gläschen in der Hand; vielleicht hatte die Geste hier ähnliche Bedeutung. Oberinspektor Chen blieb keine andere Wahl, als das Glas in einem Zug zu leeren und dabei den eigenartigen Geruch nach Kräften zu ignorieren.
    Dann wurde eine Platte mit Scheiben gebratenen Schlangenfleischs aufgetragen. Weiße Wolke schob ihm eine mit den Fingern in den Mund. Mit seiner goldbraunen, knusprigen Haut schmeckte das Fleisch wie Hühnchen, hatte aber eine etwas andere Konsistenz.
    Er versuchte, das Gespräch in die gewünschte Richtung zu lenken.
    »Gestern hatten wir leider zuwenig Zeit, mein lieber Gu. Dabei gäbe es noch so viel zu besprechen.«
    »Sie sagen es, Oberinspektor Chen. Was die Frage angeht, die Sie mir gestern gestellt haben, so habe ich mich da etwas umgehört …«
    »Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen, Generalmanager Gu«, sagte Meiling und erhob sich. »Ich müßte mir die Parkplatzsituation noch einmal ansehen. Vielleicht kann mir Weiße Wolke die Örtlichkeiten zeigen.«
    »Das ist eine hervorragende Idee«, sagte Chen dankbar.
    Doch was Gu erzählte, als sie allein waren, brachte keine wirklich neue Information. Er sprach darüber, was ihm an dem Hongkonger Besucher, diesem Jiao, verdächtig vorgekommen war. Ein Mitglied der Fliegenden Äxte hätte ihn nicht direkt kontaktiert, da er ja zu den Blauen gehörte. Jiao hätte vielmehr zum Großen Bruder der Blauen gehen müssen. Gu hatte sich alle Mühe gegeben, Detektiv zu spielen, und hatte immerhin herausgefunden, daß Jiao auch noch im Saunaclub Rote Hauptstadt aufgetaucht war.
    Gu hatte wirklich Einsatz gezeigt. Chen nickte wohlwollend und nahm einen Schluck von seinem Schnaps. Wenn der Mann aus Fujian, der sich nach Wen erkundigt hatte, zu den Fliegenden Äxten gehörte, dann wäre dieser Jiao womöglich Mitglied einer rivalisierenden Geheimgesellschaft, der geheimnisvolle Dritte, den Inspektor Rohn ins Spiel gebracht hatte.
    »Vielen Dank, Gu. Sie haben gute Arbeit geleistet.«
    »Nicht der Rede wert, Oberinspektor Chen. Sie betrachten mich als Ihren Freund«, erklärte Gu, »und als solcher würde ich mir Messer durch die Rippen jagen lassen.« Gu hatte sich in Rage geredet; mit gerötetem Gesicht trommelte er sich gegen die Brust. Eine solche Geste hatte Chen in einem Karaoke-Separee nicht erwartet.
    Als Meiling und Weiße Wolke zurückkamen, wurde eine weitere Flasche Mao Tai geöffnet.
    Gu trank ihm zu. »Auf die großen Verdienste von Oberinspektor Chen und auf seine erfolgreiche Zukunft!« Meiling prostete ihm ebenfalls zu, während die vor dem Tisch kniende Weiße Wolke ihm eifrig nachschenkte.
    Chen konnte sich nicht mehr erinnern, wieviel er schon getrunken hatte. Ein warmes Gefühl der Dankbarkeit durchströmte ihn; allmählich gewöhnte er sich an seine Rolle.
    Als Meiling sich kurz entschuldigte, ergriff er die Gelegenheit und fragte Gu: »Ist Li Guohua eigentlich schon mal hier gewesen?«
    »Li Guohua? Sie meinen den führenden Parteikader des Präsidiums? Nein, nicht bei mir. Aber einer seiner Verwandten betreibt eine Bar in sehr guter Lage. Der Große Bruder der Blauen hat mir davon erzählt.«
    »Tatsächlich!« Daß der Schwager des Parteisekretärs eine Bar betrieb, war nichts Neues, wohl aber, daß Gu den Großen Bruder der Blauen als Quelle nannte. Das beunruhigte Chen. Bislang hatte Chen seinen politischen Mentor Li immer für einen konsequenten Vertreter der Parteilinie gehalten.
    Lag hier der Grund, warum Li gezögert hatte, ihn mit einem Fall zu betrauen, der Verbindungen zu den Triaden aufwies? Hatte er ihm deshalb Qian als zeitweiligen Assistenten zugeteilt?
    »Ich kann noch mehr für Sie herausfinden, Oberinspektor.«
    »Danke, Gu.«
    Meiling betrat wieder das Zimmer. Ein neuer Titel wurde gespielt; diesmal war es ein Tango. Weiße Wolke, die noch immer kniend sein Glas hielt, blickte zu ihm auf. An ihrer nackten Fußsohle entdeckte er einen kleinen Blutfleck. Vielleicht war es das Blut der großen Königsschlange. Er fühlte sich versucht, noch einmal mit ihr zu tanzen.
    Er war nicht betrunken – jedenfalls nicht so betrunken wie Li Bai unter dem tangzeitlichen Mond. Der hatte beschrieben, wie er mit dem eigenen Schatten tanzte. In jenem einsamen Augenblick mußte der Dichter den weinseligen Abgang aus seiner tristen Existenz genossen haben. Und Flucht, wenn auch nur kurzzeitig, war es, was auch er heute

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