Die Frau vom Leuchtturm - Roman
Tief unten sah ich den vertrauten Umriss meines Volvos. Die Scheinwerfer brannten hell und illuminierten die gewaltigen Brecher, die auf die glänzenden schwarzen Felsen unterhalb des Leuchtturms donnerten.
Der Anblick des Wagens brachte mich zur Besinnung. Ich wandte den Kopf und sah gerade noch rechtzeitig, wie Bobby auf mich zukam. Ein bösartiges Lächeln umspielte seinen Mund. »Das macht es viel einfacher für mich, Sue«, schrie er, als er mich am Kragen meiner Jacke packte und versuchte, mich über das Geländer zu hieven.
Der Mythos, dass im letzten Moment vor dem Tod noch einmal das ganze Leben vor einem abläuft, ist wirklich nichts als ein Mythos.
Denn in dem Moment, als Bobby versuchte, meinen hilflosen Körper über das Geländer des Rundgangs zu werfen, blitzte vor meinem inneren Auge ein kristallklares Bild von Laura in ihrer geschmackvoll eingerichteten Praxis in der Park Avenue auf.
Meine modische Therapeutin saß in ihrem italienischen Ledersessel und hatte die langen Beine verführerisch übereinandergeschlagen, so dass es dem Ermittler mit der finsteren Miene nicht entgehen konnte. Sie schnalzte mit ihrer hübschen rosa Zunge und erklärte, der Selbstmord der New yorker Antiquitätengutachterin Susan Marks sei gewiss bedauernswert, erstaune sie aber gar nicht.
Schließlich, fuhr Laura fort, war die arme, verwirrte Susan akut deprimiert und zutiefst unglücklich gewesen
und hatte in letzter Zeit zunehmend an lebhaften Halluzinationen gelitten, in denen sie sich stets mit ihrem toten Geliebten vereint gesehen hatte.
Bobby, der fürchterlich keuchte und schnaufte, hatte es endlich geschafft, meinen Oberkörper über das Geländer zu schieben. Er drehte mich um, so dass ich ihn ansah, und packte dann meine Beine, um mich rückwärts hinabzustürzen.
»Oh, mein Gott!«, krächzte ich und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die unglaubliche Erscheinung hinter ihm.
Verblüfft sah sich Bobby um, und augenblicklich wurde sein hochrotes Gesicht aschfahl.
Denn über ihm schwebte Aimee Marks, deren weißes Kleid sich sanft um ihre schlanke Gestalt bauschte. Bobby ließ mich los, und ich fiel schwer auf den Steg. Mein zartes Gespenst öffnete den Mund und stieß ein ohrenbetäubendes Kreischen aus, das ihn zurücktrieb wie von einem Vorschlaghammer getroffen.
Bobbys eisblaue Augen sahen mich an und flehten um eine Erklärung, während er heftig nach hinten geschleudert wurde und in der Dunkelheit unter uns verschwand.
Dann lächelte Aimee mir zu und war ebenfalls fort.
Als sich meine Augenlider zuckend schlossen, sah ich Dans Gesicht über mir. Ich spürte, wie ich lächelte, und dann wurde es schwarz um mich.
35. Kapitel
Ich schlug die Augen auf. Ein attraktiver junger Sanitäter stach mir geschickt eine Nadel in den unverletzten Arm. Lächelnd erklärte er mir, ich werde höchstens so etwas wie den Stich einer Biene spüren.
Offenbar konnte ich nicht sprechen, daher sagte ich ihm nicht, dass ich allergisch gegen Bienenstiche bin. Ich hatte das Gefühl, mich am Grund eines Strudels zu befinden, und fragte mich, warum ich über Bienenstiche nachdachte.
Mein Arm fühlte sich seltsam losgelöst an, als wäre er nicht richtig mit meiner Schulter verbunden, aber ich konnte meine Finger bewegen. Und wenn man mit den Fingern wackeln kann, muss der Arm doch festsitzen, oder? Aber warum war er doppelt so dick wie sonst? Und weiß? Dann schob sich der Gedanke, dass er wohl verbunden war, in mein verwirrtes Hirn, und ich seufzte erleichtert.
Was immer der nette junge Mann mir gespritzt hatte, machte es mir schwer, die Augen offen zu halten. Als ich sie wieder schloss, sah ich Dans liebes, besorgtes Gesicht vor mir. Warum machte er sich Sorgen? Ich fühlte mich großartig.
Ich sank in einen herrlichen Schlummer, während der Helikopter der Küstenwache von Maidenstone Island abhob.
Das Krankenzimmer im Boston Medical war kalt, kahl und still. Kein Piepen, Klicken und Surren wie damals in Damons Zimmer.
Welchen Tag hatten wir? Wie lange war ich schon hier?
Mein Arm fühlte sich schwer an, und ich konnte nur die Schulter bewegen. Ein Gipsverband begann über dem Ellbogen und reichte bis zu meinen Fingerspitzen. Warum hatte ich einen Gips? Hatte Bobby mir den Arm gebrochen?
Bobby! Mit einem Mal stand mir mein entsetzliches Erlebnis wieder vor Augen, und ich konnte es kaum fassen. Ich war ja schon vorher zu der Erkenntnis gelangt, dass er kein Ritter in einer glänzenden Rüstung war, aber ich
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