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Die Frau vom Leuchtturm - Roman

Titel: Die Frau vom Leuchtturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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drückte.
    »Tja, Tom«, gab ich zurück, tätschelte seine große, starke Hand und gab meiner Stimme einen, wie ich hoffte, unbekümmerten Ton, »wir waren schon wilde, verrückte Teenies, was?«
    Tatsache war, dass ich diese Nacht genauso wenig vergessen hatte wie er. Aber wahrscheinlich streichen die wenigsten Menschen die erste richtige sexuelle Begegnung aus ihrem Gedächtnis. Denn das war die Nacht auf dem schnittigen neuen Motorsegler seines Vaters für mich gewesen. Und ich vermutete, dass es auch für Tom das erste Mal gewesen war.
    Zum Glück kehrte Damon rasch zurück und beendete die peinliche Situation. Tom fuhr verlegen fort, über die lukrative Vermietung von Ferienhäusern in Freedman’s Cove zu erzählen, und ersparte mir die Notwendigkeit, ihn daran zu erinnern, dass er verheiratet war, oder ihn mit Geschichten von meinem gut aussehenden, wunderbaren Liebsten zu langweilen.
    Am nächsten Tag begannen wir mit der Arbeit am Haus.
    Während ich zahllose Schachteln, Koffer und Wandschränke durchsah, um zu entscheiden, was ich behalten und was ich wegwerfen wollte, übernahm Damon die Organisation der Renovierung. Mit Toms Hilfe engagierte er Handwerker, die das Haus von innen und außen erneuern sollten, einschließlich einer vorsichtigen Modernisierung der altmodischen Küche. Teils wegen
des ganzen Gerümpels im Haus, vor allem jedoch wegen meiner unangenehmen Erinnerungen an meinen letzten Besuch bei Tante Ellen hatten wir uns Zimmer in einer netten kleinen Frühstückspension ein paar Straßen weiter genommen.
    Damon und ich fuhren fünf Tage später nach New york zurück und überließen Tom die Aufsicht über die restlichen Renovierungsarbeiten. Wir nahmen nur Tante Ellens silbernes Teeservice mit, die Tiffany-Lampe und ein paar andere Gegenstände, die ihr am Herzen gelegen hatten. Alles andere hatten wir entweder zurückgelassen, damit die Feriengäste es später benutzen konnten, an Wohltätigkeitsorganisationen im Ort gespendet oder, im Fall von Tante Ellens unzähligen Schachteln mit Briefen und alten Fotos, auf dem immer noch nicht erforschten Dachboden eingeschlossen, um sie irgendwann zu sortieren.
    Den peinlichen Zwischenfall mit Tom hatte ich bald vergessen.

5. Kapitel
    Es war schon sehr spät, als ich in die schmale Einfahrt neben dem Haus bog und den Motor des Volvos abschaltete.
    Mühsam kletterte ich aus dem warmen Wagen, reckte meine tauben Schultern und sah zu dem stolzen alten viktorianischen Haus auf. Als Tante Ellen noch lebte, hatte sie nachts immer ein Licht im Salon brennen lassen, damit das Haus gemütlich und einladend aussah, wie sie sagte. Aber jetzt waren die Fenster dunkel, und das Haus wirkte unaussprechlich traurig und leer.
    Das Signalfeuer vom Leuchtturm an der Landspitze huschte über die blassgelben Schindeln, mit denen das Haus verkleidet war, und erleuchtete das hohe, kantige Gebäude wie ein Blitz in einem billigen Horrorfilm. In diesem Moment hatte ich den flüchtigen Eindruck, dass aus einem der schmalen Fenster des Turmzimmers ein Gesicht auf mich herabblickte. Dann huschte das Licht weiter, so dass das Haus wieder im Dunkel der kalten, mondlosen Nacht lag.
    Ich stand noch einen Moment da, starrte zu dem ausdruckslosen Fenster dreißig Fuß über mir hinauf und fragte mich, ob das Haus möglicherweise bewohnt war. Aber es hatte noch nie jemand das Haus später als Mitte September gemietet, obwohl die Belegung im Sommer meine kühnsten Erwartungen weit übertroffen hatte.
Auf der anderen Seite hatte ich mir nicht einmal die Mühe gemacht, Tom Barnwell anzurufen, bevor ich die Stadt verlassen hatte, um ihn über mein Kommen zu informieren.
    Jedenfalls war ich mir beinahe sicher, dass ich mir das Gesicht am Fenster nur eingebildet hatte.
    Ein kalter Windstoß, der vom Meer kam, fuhr in mein dünnes Sweatshirt, ließ meinen müden Körper erschauern und trieb mich zurück ins Auto, um meine Schlüssel und meine Handtasche zu holen. Von dem ganzen Gerümpel auf dem Rücksitz nahm ich nur ein kleines Köfferchen und die Tüte mit ein paar Grundnahrungsmitteln heraus, die ich in einem Mini-Supermarkt gleich hinter der Interstate gekauft hatte. Alles andere konnte bis zum nächsten Morgen warten, beschloss ich.
    So beladen, eilte ich zur Vorderveranda und stieg die breiten Stufen hinauf. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass das Gesicht am Fenster nicht nur Einbildung gewesen war, drückte ich die altmodische Türklingel und hörte, wie das Läuten durch das

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