Die Frau vom Leuchtturm - Roman
mehreren heftigen Diskussionen mit meiner Mutter hatte sie sich stoisch geweigert, noch etwas dazu zu sagen.
Ich schmunzelte, als ich daran dachte, wie sehr alle meine Cousins und Cousinen sie gefürchtet hatten, aber mit sechs hatte ich selbst irgendwie durch ihre raue Schale hindurchgesehen und mich von ihr nicht abschrecken lassen wie die anderen. Ich wurde ihre Lieblingsnichte, obwohl sie das vehement abgestritten hätte.
In diesem Sommer hatte sie mir das Turmzimmer geschenkt.
In ihrem besten Polterton, der besagte, dass sie nicht zu Späßen aufgelegt war, erklärte sie mir, sie würde mich in das Zimmer stecken, das am weitesten von den Wohnräumen entfernt lag, denn sie sei nicht an Kinder im Haus gewöhnt und wolle sich so viel Ruhe und Frieden wie möglich bewahren, auch wenn man ein wildes kleines Mädchen um sich habe.
Lächelnd erinnerte ich mich daran, wie ich das Zimmer zum ersten Mal gesehen hatte: die gebogenen Wände, die Kuppeldecke und die altmodischen Flügelfenster, hinter denen das Meer tobte. Ich war eine Prinzessin im höchsten Turm der Burg. Begeistert umarmte ich ihre Knie, und sie schob mich sanft weg und erklärte, ich zerknittere ihr Kleid. Aber in ihren Augen sah ich, dass sie sich freute.
So war Tante Ellen. Sie verteilte keine Umarmungen und Küsse, aber ich wusste immer, dass sie mich liebte. Ich hoffe, sie hat auch gewusst, wie sehr ich das Gefühl erwiderte.
Ich streckte mich aus und ließ mich tiefer in die Wanne sinken, damit das entspannende warme Wasser
auch meinen Hals erreichen konnte, der nach der langen Autofahrt steif war.
Da drängte sich eine andere Autofahrt in meine Gedanken. Immer noch habe ich Alpträume, in denen der Schwerlaster die Mittellinie überfährt und seitlich in den Wagen kracht. Ich zuckte zusammen.
Sogar als ich schon zehn war, hatte meine Mutter darauf bestanden, dass ich angeschnallt auf der Mitte des Rücksitzes fuhr. Sie hatte irgendwo gelesen, dass Airbags für Kinder gefährlich seien. So blieb ich unverletzt und bekam keinen Kratzer ab, als der Laster in die Fahrerseite des Wagens krachte. Aber meine Mutter konnte auch ihr Airbag nicht retten.
Mein Vater und ich waren allein.
Tante Ellen war damals für uns, für mich da. Ich habe sie nie weinen gesehen, aber sie hatte meinem Vater und mir mit ihrer Kraft über das erste schreckliche Jahr hinweggeholfen, und seitdem verbrachte ich jeden Sommer hier.
Meine Haut begann zu schrumpeln. Ich stieg aus der Wanne und ging nach oben, ins Bett.
6. Kapitel
In dieser Nacht träumte ich von Bobby.
Aber mein Traum war zur Abwechslung einmal keine dieser törichten, sehnsuchtsvollen Fantasien, mit denen ich mich seit seinem Verschwinden quälte.
Stattdessen träumte ich in dieser Nacht, gemütlich in meine unverwüstliche alte Kapitänskoje geschmiegt, während der Oktoberwind an den Fenstern meines sicheren Kokons rüttelte und der beruhigende Schein der Fairy-Lampe die kalte Dunkelheit von draußen verdrängte, von dem Tag, an dem ich Bobby begegnet war, und unserem gemeinsamen Leben.
Es war früh an einem hellen Herbstmorgen gewesen. In schlabberigen Sportklamotten und verschwitzt nach einem harten Aerobic-Training in meinem Frauen-Fitnessclub trat ich aus einer Bäckerei in der Seventh Avenue. In der einen Hand hielt ich eine Tüte Croissants und in der anderen unachtsamerweise meine offene Brieftasche.
Wie berauscht von dem köstlichen Hefeduft des warmen Gebäcks stand ich da und blinzelte glücklich die sonnige Straße entlang, die nach einem kurzen Frühlingsschauer, der vor Sekunden zu Ende gegangen war, wie frisch geschrubbt wirkte. Ich hätte ein wunderbares Bild für ein Warnplakat der Anonymen Überfallopfer abgegeben.
Plötzlich hörte ich auf dem Asphalt hinter mir das schnelle Näherkommen von Turnschuhen, und etwas Hartes - eine Faust, wie sich später herausstellte - schlug mich brutal mitten auf den Rücken. Kurz erhaschte ich einen Blick auf große, schmutzige Laufschuhe, dann fiel ich mit dem Gesicht voran auf das nasse Straßenpflaster und spürte, wie mir die Brieftasche aus den Fingern gerissen wurde.
Die Schritte entfernten sich, und dann stieß jemand mit tiefer Stimme einen zornigen Aufschrei aus.
Benommen setzte ich mich auf, umklammerte meine blutende Nase und war mir nur unklar bewusst, was mir gerade zugestoßen war. Langsam bemerkte ich, dass das Wutgebrüll immer noch andauerte. Ich sah die feucht schimmernde Straße entlang und stellte fest, dass die Quelle
Weitere Kostenlose Bücher