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Die Frau vom Leuchtturm - Roman

Titel: Die Frau vom Leuchtturm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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angeschlagener Kiefer tat höllisch weh.
    Der Samstagmorgen ging unmerklich in den Nachmittag über, während ich mehr über Bobby Hayward erfuhr. Er war früher Kampfpilot bei der Navy gewesen, hatte mit zwölf seine Eltern bei einem Autounfall verloren, hatte sonst keine Familie und war es eigentlich nicht gewöhnt, New yorker Räubern die Rippen zu brechen, wenn sie ihm auf der Flucht nicht direkt in die Arme rannten, was mein Angreifer anscheinend getan hatte.
    Kurz vor dem Dunkelwerden verließ er schließlich meine Wohnung und erklärte, er müsse rasch nach LaGuardia hinausfahren, um ein paar Reparaturen an dem Flugzeug, das er Montagmorgen nach Grönland fliegen sollte, zu überprüfen.
    Bei jedem anderen hätte diese Erklärung geklungen wie eine himmelschreiend machohafte Prahlerei, wie man sie in einer Single-Bar in Manhattan von sich gibt, um Eindruck zu schinden. Doch in dieser Situation hätte Bobby Hayward mir wahrscheinlich erzählen können, er hebe über das Wochenende zum Mars ab, und ich hätte ihm jedes Wort geglaubt.

    Daher hatte ich nur kleinlaut genickt, während er versprach, dass er wiederkommen werde - um sich davon zu überzeugen, dass ich okay sei, wie er sagte -, und drohte, mich zum Röntgen zu schleppen, falls mein Kiefer bis dahin nicht beträchtlich abgeschwollen sei.
    In dem Moment, in dem sich die Tür hinter ihm schloss, sprang ich unter die Dusche, suchte mir etwas Sauberes zum Anziehen und versuchte mich zusammenzunehmen. Nachher saß ich im Wohnzimmer und starrte auf meine zerkratzte Wohnungstür wie ein liebeskranker Teenager, vollkommen sicher, dass ich Bobby nie wiedersehen würde.
    Doch nach ein paar Stunden war Bobby zurück und brachte vom Feinkostladen an der Ecke einen Riesentopf dampfender Hühnersuppe mit Matzenklößchen - aus Rücksicht auf meinen verletzten Kiefer, erklärte er - und Pastrami-Sandwiches mit, außerdem eine Flasche köstlichen chilenischen Rotwein und einen Strauß taufrischer Frühlingsblumen, die ich feierlich in einer unbezahlbaren Steuben-Kristallschale anordnete, die ich für einen befreundeten Antiquitätenhändler hütete.
    Später hockten wir im Schneidersitz auf meinem echten, aber durchgesessenen Duncan-Phyne-Sofa, aßen den mitgebrachten Imbiss und hörten klassische Country- und Western-CDs, während Bobby mich über mein Leben, meine Arbeit und meine Träume ausfragte.
    Der Sonntagmorgen dämmerte herauf, als wir ins Schlafzimmer huschten und uns schüchtern und sanft das erste Mal liebten.
    Den Sonntag verbrachten wir bis auf einen kurzen Ausflug in einen kleinen Lebensmittelladen, um Vorräte einzukaufen, zusammen in meiner Wohnung; wir kochten,
lachten und liebten uns zum beruhigenden Tröpfeln des leichten Frühlingsregens.
    Am frühen Montagmorgen brach Bobby auf und versprach mich anzurufen, sobald er in Grönland gelandet sei.
    An diesem Tag ging ich nicht zur Arbeit und pflegte meinen Kiefer, der nicht mehr grotesk angeschwollen war, sondern nur noch in einem abscheulichen Purpurton schillerte.
    Da ich zu aufgedreht war, um mich auf ein Buch zu konzentrieren oder an dem Stapel Expertisen zu arbeiten, die ich mit nach Hause genommen hatte, döste ich und sah mir eine sinnlose Abfolge von Gameshows, Soaps und anderen seichten Fernsehsendungen an, während ich zu begreifen versuchte, was mir da passiert war.
    Bobby Hayward war aus dem Nichts heraus in mein Leben gerauscht, gut aussehend und sanft, wild und abenteuerlich. Wie die Hauptfigur in einem idyllischen, romantischen Liebesroman hatte er mich voller Rücksichtnahme und Zärtlichkeit umsorgt und mit mir stundenlang über Bücher, Musik, das Leben und Philosophie geredet. Und schließlich, wahrscheinlich mehr, weil ich ihn so begehrte und nicht umgekehrt - denn ich war in diesem Moment ganz bestimmt keine Schönheit, und er hatte ganz offensichtlich gefürchtet, meine Verletzungen damit noch zu verschlimmern -, hatte er mich zärtlich und unglaublich intensiv geliebt …
    Und dann war er an einen fernen Ort geflogen, von dem ich mir vorher nicht einmal hatte vorstellen können, dass es dort Menschen, Flughäfen oder Häuser gab.
    Um die Uhrzeit, zu der er, wie er gesagt hatte, in Grönland ankommen sollte, strich ich um mein Telefon
herum und rechnete jeden Moment damit, dass meine romantische Seifenblase platzen würde.
    Doch wundersamerweise klingelte das Telefon, und er klang, als befände er sich auf der anderen Seite der Stadt und nicht in einem fernen, eisigen Land, in

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