Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)
Auswärtige Angelegenheiten Montpellier, wo er sich zur Zeit des Friedensbruchs aufhielt, um eine Heilung von einem Lungenleiden zu erlangen, verlassen müssen. Im Augenblick, da der junge Mann in dem Comte d'Aiglemont einen Offizier erkannte, suchte er dessen Blicken auszuweichen und wandte den Kopf auffällig genug den Wiesen längs der Cise zu.
»Alle diese Engländer sind unverschämt, als ob die ganze Welt ihnen gehörte«, brummte der Oberst; »nun, Soult wird ihnen schon die Peitsche geben!«
Als der Gefangene an der Kalesche vorbeiritt, warf er einen Blick hinein. Trotz der Flüchtigkeit dieses Blicks konnte er auf dem nachdenklichen Gesicht der Comtesse der Melancholie gewahr werden, die ihm einen so unbeschreiblichen Reiz verlieh. Es gibt viele Männer, die durch den bloßen Anblick des Leidens einer Frau mächtig bewegt werden; in ihren Augen scheint der Schmerz eine Bürgschaft der Treue oder der Liebe zu sein. Julie, die ganz in die Betrachtung eines Wagenkissens versunken war, achtete weder auf das Pferd noch auf den Reiter. Der Riemen war rasch und fest ausgebessert worden. Der Comte stieg wieder in den Wagen. Der Postillion bemühte sich, die verlorene Zeit wieder einzuholen, und fuhr in raschem Trab auf dem Damm dahin, den die überhängenden Felsen begrenzten, an deren Hängen die Weine von Vouvray reifen und auf denen so viele hübsche Häuser emporragen. In der Ferne konnte man die Ruinen der berühmten Abtei von Marmontiers, den Zufluchtsort des heiligen Martin, erblicken.
»Was will dieser bleichwangige Lord eigentlich von uns?« rief der Oberst, nachdem er sich vergewissert hatte, daß der Reiter, der seinem Wagen von der Cisebrücke an folgte, tatsächlich der junge Engländer war.
Da der Fremde damit, daß er auf dem Damm spazierenritt, kein Gebot der Höflichkeit verletzte, lehnte sich der Oberst in seine Ecke des Wagens zurück, nachdem er dem Engländer noch einen drohenden Blick zugeworfen hatte. Aber er konnte trotz seiner unwillkürlichen Feindseligkeit nicht umhin, die Schönheit des Pferdes und die Anmut des Reiters zu bewundern. Der junge Mann hatte ein typisch britisches Gesicht mit so feinem Teint und so glatter, weißer Haut, daß man meinen konnte, es gehöre einem schönen jungen Mädchen. Er war blond, schmal und groß. Sein Anzug hatte jenes Gepräge von Sorgfalt und Reinlichkeit, das die Fashionablen des prüden England auszeichnet. Es hatte den Anschein, als ob er mehr aus Schamhaftigkeit als vor Vergnügen beim Anblick der Comtesse errötet war. Ein einziges Mal hob Julie die Augen zu dem Reisenden empor; aber es war auf Veranlassung ihres Mannes, der wünschte, daß sie die Beine eines Rassepferdes bewundern sollte. Dabei begegneten ihre Augen dem schüchternen Blick des jungen Engländers. Von da an ließ er sein Pferd einige Schritte hinter der Kalesche hertraben, anstatt daneben zu reiten. Die Comtesse hatte den Fremden kaum angesehen. Sie bemerkte an Pferd und Reiter keine der Vollkommenheiten, auf die sie aufmerksam gemacht worden war, und sank mit einer leichten Bewegung der Augenbrauen, die eine Zustimmung bedeuten sollte, in den Wagen zurück. Der Oberst schlief wieder ein, und die beiden Gatten kamen nach Tours, ohne ein Wort gewechselt zu haben und ohne daß die reizenden Bilder der wechselnden Landschaft, durch die sie fuhren, ein einziges Mal Julies Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätten. Während ihr Mann schlummerte, betrachtete ihn Julie hin und wieder. Bei dem letzten Blick, den sie ihm zuwarf, fiel durch einen Stoß des Wagens ein Medaillon, das sie an einer Trauerkette um den Hals trug, auf ihren Schoß und zeigte der jungen Frau plötzlich das Bild ihres Vaters. Bei diesem Anblick rannen ihr die bisher unterdrückten Tränen über das Gesicht. Vielleicht hatte der Engländer die feuchtglänzenden Spuren, die diese Tränen einen Augenblick auf den blassen Wangen der Comtesse zurückließen, gesehen, ehe sie trockneten. Der Oberst d'Aiglemont war vom Kaiser beauftragt worden, dem Marschall Soult, der Frankreich gegen die Invasion der Engländer im Béarn zu verteidigen hatte, Befehle zu überbringen, und benutzte die Gelegenheit, seine Frau den Gefahren zu entziehen, die Paris damals bedrohten, und sie nach Tours zu einer alten Verwandten zu führen. Bald rollte der Wagen über das Pflaster von Tours, über die Brücke und in die Grande Rue und hielt vordem alten Palast, den die ehemalige Marquisette Listomère-Landon bewohnte.
Die Marquise de
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