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Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)

Titel: Die Frau von dreißig Jahren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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wildgewordene Tier gerichtet, das der Offizier züchtigt, während er davonjagt, um die Befehle Napoleons weiterzugeben. Diese verwirrenden Szenen hatten Julie in solche Spannung versetzt, daß sie sich unbewußt an den Arm ihres Vaters geklammert hatte, dem sie so unwillkürlich durch den mehr oder weniger lebhaften Druck ihrer Finger ihre Gedanken mitteilte. Als Victor nahe daran gewesen war, von dem Pferd abgeworfen zu werden, hatte sie sich noch fester an ihren Vater geklammert, als ob sie selbst in Gefahr wäre zu fallen. Der Greis betrachtete mit finsterer, schmerzlicher Unruhe das liebliche Gesicht seiner Tochter, und über seine wie im Krampf zusammengezogenen Züge glitt ein Ausdruck von Mitleid, Eifersucht und Bedauern. Doch als der ungewohnte Glanz in Julies Augen, der Schrei, den sie ausgestoßen hatte, und die zuckende Bewegung ihrer Finger ihm vollends ihre heimliche Liebe enthüllten, mußten sich ihm wohl traurige Zukunftsbilder offenbaren, denn sein Gesicht spiegelte die Ahnung künftigen Unheils. In diesem Augenblick schien die Seele Julies in die des Offiziers übergegangen zu sein. Unter einem Gedanken, der an Grausamkeit alle bisherigen übertraf, krampfte sich das leidende Gesicht des Greises zusammen, als er d'Aiglemont, der an ihnen vorbeiritt, einen Blick des Einverständnisses mit Julie tauschen sah, deren Augen feucht schimmerten und deren Gesicht von Röte übergossen war. Er führte seine Tochter, ehe sie sich dessen versah, in den Garten der Tuilerien.
    »Aber Vater«, sagte sie, »die Regimenter auf der Place du Carrousel werden noch weiter exerzieren.« – »Nein, mein Kind, alle Truppen defilieren.« – »Ich glaube, du irrst dich, lieber Vater, Monsieur d'Aiglemont sollte sie vorrücken lassen.« – »Wenn auch, liebes Kind, ich fühle mich nicht wohl und mag nicht mehr bleiben.«
    Julie hätte ihrem Vater das ohne weiteres glauben können, wenn sie auf dieses von väterlichen Kümmernissen bedrückte Gesicht einen Blick geworfen hätte.
    »Haben Sie starke Schmerzen?« fragte sie gleichgültig, so ganz war sie mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. »Ist nicht jeder Tag ein Gnadengeschenk für mich!« erwiderte der Greis. »Willst du mich wieder traurig machen, weil du von deinem Tode sprichst? Ich war so heiter. Verjage rasch deine bösen, schwarzen Gedanken!« – »Ach!« rief der Vater mit einem Seufzer, »verwöhntes Kind! Gerade die besten Herzen sind doch oft recht grausam! Daß man euch das Leben weiht, nur an euch denkt, für euer Behagen sorgt, seine Neigungen euren Launen opfert, euch vergöttert, das Blut für euch hingibt, ist das denn gar nichts? Ach ja, ihr nehmt alles unbekümmert hin. Man müßte allmächtig sein wie Gott, damit ihr einem immer euer Lächeln und eure herablassende Liebe zuteil werden laßt. Dann kommt schließlich ein anderer – ein Geliebter, und raubt uns euer Herz!«
    Erstaunt sah Julie ihren Vater an, der langsam einherschritt und niedergeschlagen auf sie blickte.
    »Ihr versteckt euch sogar vor uns«, fing er von neuem an, »aber vielleicht auch vor euch selber ...« – »Aber wie kannst du das sagen, lieber Vater!« – »Ich meine, Julie, daß du Geheimnisse vor mir hast. Du liebst!« sagte er lebhaft, als er sah, daß seine Tochter errötete; »ach, ich hoffte, du würdest deinem alten Vater treu bleiben bis zu seinem Tode; ich hoffte, dich glücklich und strahlend bei mir zu behalten, dich zu bewundern, so wie du noch eben warst. Solange mir dein Geheimnis unbekannt war, hätte ich an eine ruhige Zukunft für dich glauben können. Aber jetzt ist es unmöglich, daß ich eine Hoffnung auf Glück für dich mit mir fortnehme, denn du liebst noch mehr den Offizier als den Cousin. Ich kann nicht mehr daran zweifeln.« – »Warum soll ich ihn denn nicht lieben dürfen?« rief sie mit lebhafter Neugierde. »Ach, meine Julie, du würdest mich nicht verstehen!« sagte der Vater mit einem Seufzer. »Sage es nur!« erwiderte sie mit leisem Trotz. »Gut also, höre mich an, mein Kind! Die jungen Mädchen machen sich oft edle, berückende Bilder zurecht, ganz ideale Gestalten, und bilden sich phantastische Ideen über die Männer, die Gefühle, die Welt; dann statten sie in ihrer Unschuld irgendeinen Charakter mit allen Vollkommenheiten aus und vertrauen ihm; sie lieben in dem Mann ihrer Wahl diese eingebildete Gestalt. Aber später, wenn sie sich nicht mehr von dem Unglück losmachen können, verwandelt sich die trügerische Erscheinung,

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