Die Frau von dreißig Jahren (German Edition)
goldbetreßten Stabe, der ihm folgte, mit dem Großmarschall zur Linken und dem diensttuenden Marschall zur Rechten. Inmitten all der Erregung, die er geweckt hatte, schien jeder Zug in seinem Gesicht völlig ungerührt.
»Bei Gott, ja! Bei Wagram mitten im Feuer, an der Moskwa zwischen den Toten, immer ist er unerschütterlich, der Kaiser!« Diese Antwort auf zahlreiche Fragen gab der Grenadier, der neben dem jungen Mädchen stand. Julie war eine Weile in der Betrachtung dieser Gestalt versunken, deren Ruhe ein so großes, sicheres Machtgefühl anzeigte. Der Kaiser bemerkte Mademoiselle de Chatillonest und neigte sich gegen den Marschall Duroc, um eine Bemerkung zu machen, die ein Lächeln bei diesem hervorrief. Die Heerschau nahm ihren Anfang. Während das junge Mädchen ihre Aufmerksamkeit bisher zwischen der kaltblütigen Miene Napoleons und den blauen, grünen und roten Reihen der Truppen geteilt hatte, beschäftigte sie sich in diesem Augenblick, angesichts der raschen und genauen Bewegungen der alten Soldaten, mit einem jungen Offizier, der zu Pferde durch die Marschkolonnen jagte und mit unermüdlichem Eifer zu der Gruppe zurückkehrte, an deren Spitze der schlichte Napoleon glänzte. Dieser Offizier ritt einen prächtigen Rappen und zeichnete sich, im Gegensatz zu der herausgeputzten Menge, durch die schöne himmelblaue Uniform des Ordonnanzoffiziers des Kaisers aus. Die Goldstickerei seines Rockes und der Reiherbusch seines schmalen, länglichen Tschakos funkelten so lebhaft in der Sonne, daß ihn die Zuschauer mit einem Irrlicht vergleichen mußten. Er war die sichtbar gewordene Seele des Ganzen, auf den Befehl des Kaisers dazu bestellt, die Bataillone zu beleben, zu führen, deren erhobene Waffen Blitze schleuderten, wenn auf einen Wink seiner Augen die Reihen sich teilten, sich wieder vereinigten, sich wie die Wellen eines Strudels im Kreise drehten oder wie die langen, geraden, hohen Wogen, die der empörte Ozean ans Ufer trägt, auf ihn zukamen.
Als die Heerschau zu Ende war, ritt der Ordonnanzoffizier mit verhängtem Zügel heran und hielt vor dem Kaiser, um seine Befehle zu erwarten. In diesem Augenblick war er zwanzig Schritt von Julie entfernt, vor der kaiserlichen Gruppe, in einer Haltung, ähnlich der, wie sie Gérard dem General Rapp auf dem Gemälde ›Die Schlacht von Austerlitz‹ gegeben hat. Es war dem jungen Mädchen vergönnt, den Mann ihres Herzens in seinem vollen militärischen Glanze zu bewundern. Der Oberst Victor d'Aiglemont, der kaum dreißig Jahre zählte, war groß, gut gewachsen, schlank. Sein wohlproportionierter Körper kam nie besser zur Geltung, als wenn er seine Kraft dazu gebrauchte, ein Pferd zu zügeln, dessen geschmeidiger, eleganter Rücken sich dann unter ihm zu biegen schien. Sein männliches, wettergebräuntes Gesicht hatte den unerklärlichen Reiz, den eine vollkommene Regelmäßigkeit der Züge jungen Gesichtern verleiht. Seine Stirn war breit und hoch. Seine feurigen Augen, von dichten Brauen beschattet und langen Wimpern umrandet, bildeten zwei weiße Ovale zwischen zwei schwarzen Linien. Seine Nase hatte die graziöse Biegung eines Adlerschnabels. Das Rot seiner Lippen trat unter den Krümmungen des unvermeidlichen schwarzen Schnurrbarts kräftig hervor. Breite Backen von lebhafter Farbe zeigten braune und gelbe Töne, die auf außerordentliche Kraft deuteten. Es war eins von jenen Gesichtern, denen die Tapferkeit ihr Gepräge verliehen hat, der Typus, auf den der Künstler heute aus ist, wenn er einen der Helden des kaiserlichen Frankreich darstellen will. Das schweißtriefende Pferd, dessen unruhig hin und her gehender Kopf äußerste Ungeduld ausdrückte, stand, die beiden Vorderfüße gespreizt und auf einer genauen Linie gehalten, unbeweglich da und ließ die langen Haare seines dichten Schweifes flattern; seine Hingebung versinnbildlichte auf eine greifbare Art die seines Herrn für den Kaiser. Julie empfand eine Regung von Eifersucht, als sie ihren Geliebten so beflissen sah, die Blicke Napoleons aufzufangen; sie dachte daran, daß er sie noch nicht angesehen hatte. Plötzlich, auf ein Wort des Herrschers, drückt Victor die Flanken seines Pferdes und galoppiert von dannen; aber der Schatten einer Schranke auf dem Sande erschreckt das Pferd; es scheut, weicht zurück und bäumt sich so jäh auf, daß der Reiter in Gefahr scheint. Julie stößt einen Schrei aus, sie erbleicht; alle Augen richten sich auf sie, sie sieht niemand; ihre Augen sind auf das
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