DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
sei: „Von nun an sind wir nicht mehr als Genossen.“ [15] Zizhen findet sich also allein wieder, verfolgt von den Gespenstern ihrer verlorenen Kinder. Der kleine Junge, der gestorben ist; das Mädchen, das sie auf der Straße zurückließ. Ihre seelische Lähmung wächst sich zu einer tiefen Depression aus. Schließlich wird sie auf behördliche Anordnung in eine Nervenklinik verbracht. Steckt etwa Mao hinter diesem Beschluss? Immerhin verstreichen zehn Jahre, bis er sich 1947 für ihre Rückkehr nach China einsetzt. Auch dort wird sie in einer Nervenklinik interniert. Zizhen hat zu viel durchgemacht, um je wieder ganz genesen zu können. Sie wird für den Rest ihres Lebens davon überzeugt sein, die Ärzte Maos versuchten, sie zu vergiften.
Die Liebe ist blau wie ein Apfel
Zu Gericht über eine Verräterin
„Richter: Ruhe!
Jiang Qing: Ich habe ebenso das Recht, anzuklagen!
Liao Mosha: Halt die Klappe, Schlampe!
Richter: Angeklagte Jiang Qing, schweig augenblicklich!
Jiang Qing: Nein, ich rede! Was willst du denn dagegen machen?“ [16]
Peking, November 1980. Im Gerichtssaal wird gegen die Viererbande verhandelt, ein Prozess, der ganz China erschüttern sollte. Der Vorsitzende versucht vergeblich, die Menge der Zuhörer zur Ordnung zu rufen. Zwischenrufe werden laut, eine Schlägerei droht auszubrechen. Die Angeklagte Jiang Qing ist hartnäckig. Einer der Richter schlägt mit der Faust auf den Tisch.
Jiang Qing: „Sie sind es, die das Gesetz übertreten! […] Sie lassen hier alle diese Verräter, diese Spione aufmarschieren, damit sie gegen uns aussagen. Aber von mir aus!“
Liao Mosha, der einzige Überlebende der Autoren, die es gewagt hatten, sich zu Beginn der Sechzigerjahre gegen Mao zu stellen, tritt in den Zeugenstand. Er beschuldigt Jiang Qing, Parteimitglieder und Bürger Pekings verfolgt zu haben. Sie hätte, so berichtet er, zahlreiche Unschuldige in den Tod geschickt: „Ich bin in der Partei groß geworden. Ich bin nie auch nur einen Deut von der Linie abgewichen, nicht einen Tag meines Lebens. […] Jiang Qing hat gegen mich eine Anklage konstruiert, aufgrund derer ich acht Jahre lang unschuldig eingesperrt war. Dann hat sie mich für weitere drei Jahre aufs Land verbannen lassen, wo ich durch Arbeit ‚umerzogen‘ werden sollte. Ich bin im Gefängnis grausam gefoltert worden.“ Liao Mosha bricht in Schluchzen aus.
Nicht eine Sekunde lang verliert Jiang Qing, die von zwei Polizistinnen flankiert wird, ihr spöttisches Lächeln. Sie hält den Kopf hoch. Ihr lebhafter Blick wandert durch den Saal. Die achthundertachtzig Zuhörer und die siebzig Schöffen, die über den wichtigsten Prozess Chinas befinden werden, sind sicher: Sie macht sich über alle lustig.
Die Verachtung, die sie für dieses Spektakel empfindet, steht ihr ins Gesicht geschrieben. Sie, die dreißig Jahre hätte warten sollen, ehe sie an Maos Seite in die Regierungsgeschäfte eingriff. Sie, die hätte warten sollen, bis das Bild He Zizhens, der Märtyrerin der Revolution, im Gedächtnis des Volkes verblasst wäre. Sie, die nach Meinung ihrer Gegner im Schatten hätte bleiben sollen, hat endlich das Rampenlicht gefunden, das sie suchte, um ihren großen, finalen Auftritt hinzulegen.
Von der ersten Minute der Verhandlung an wird den Richtern klar, was sie getan haben: Sie haben die Bestie aus dem Käfig gelassen und ihr eine Bühne geschaffen, von der aus sie alle Fernsehschirme der Welt erreicht. Sie haben der ehemaligen Schauspielerin Blauer Apfel ein Publikum gegeben, von dem sie nie zu träumen gewagt hätte. Millionen von Fernsehzuschauern werden mitverfolgen, wie sie jene Rolle gestaltet, die ihr am meisten liegt: ihre eigene.
Dabei sind die Anklagepunkte, die gegen sie vorgebracht werden, mehr als schwerwiegend. Die konterrevolutionäre Viererbande und Qing haben sich folgender Verbrechen schuldig gemacht: Verfolgung verdienter Parteimitglieder und Staatsdiener, Erheben falscher Anklagen gegen diese, Komplott zur Eroberung der politischen Macht, Repressionen gegen Mitglieder der Partei und das Volk Chinas. Man spricht von 2600 Opfern aus dem literarisch-künstlerischen Bereich, von 142.000 Lehrkräften, 53.000 Wissenschaftlern und Technikern, von 500 Medizinprofessoren und 13.000 Chinesen, die in Übersee leben. Die Verlesung der Anklageschrift dauert drei Stunden. Jiang Qings Kommentar: Sie will den Saal verlassen. Am Ende der Verlesung sagt sie nur: „Seht euch nur diesen Wu Faxian
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