DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
verrückte Zeit gedauert. Müde und erschöpft ist sie, als sie im Café des Manilleurs in Paris ankommt und Lenin kennenlernt.
Pariser Romanze
Als sie, fünfunddreißigjährig, Lenins Bekanntschaft macht, ist ihr Leben gerade in die Brüche gegangen. Beide haben sie auf ein geruhsames Dasein verzichtet und sich für eine bewegte Existenz im Untergrund entschieden. Sie findet in ihm den männlichen Gegenpart zu ihrer Entschlossenheit, zu ihren Hoffnungen auf eine neue Menschlichkeit. Und Lenin hört dieser enthusiastischen, eleganten Frau gerne zu, die in Paris ihren Obsessionen huldigt. Sie liebt Federhüte geradezu abgöttisch. Die französische Hauptstadt erscheint ihr nach allem, was sie durchlitten hat, als Gipfel der Romantik und der Eleganz: „Die Männer trugen Melonen, die Frauen riesige, federgeschmückte Wagenradhüte. Auf den Terrassen der Cafés umarmen sich die Liebenden und küssen sich leidenschaftlich.“
Schnell verinnerlicht Inessa die Regeln des Café des Manilleurs und des Pariser Schicks. Als der Schriftsteller Ilja Ehrenburg [13] sich ihnen dort einmal anschließt und nicht weiß, was er bestellen soll, rät sie ihm nonchalant: „Grenadine. Wir trinken alle Grenadine. Nur Lenin will immer seine Halbe Bier haben.“
Im folgenden Sommer, 1910, lässt Lenin sie zu ihrer Überraschung auf die Liste der Geladenen für den Internationalen Sozialistenkongress in Kopenhagen setzen – zusammen mit Rosa Luxemburg, Trotzki und Plechanow. Dabei kennen sie sich noch gar nicht so gut. Doch die beiden einander ergänzenden Charaktere eint dieselbe ideologische Stoßrichtung, und so sind sie bald in allem unweigerlich einer Meinung.
Drei Jahre später gesteht sie ihm, welche Gefühle sie vom ersten Moment der Begegnung an für ihn gehegt hatte: „Ich wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Ich fühlte mich gar nicht wohl in meiner Haut. Außerdem beneidete ich jeden, der mit dir sprechen durfte.“ [14] Es dauerte lange, bis die zarten Bande zwischen ihnen endlich geknüpft waren, aber war das mit Alexander und Vlady nicht ähnlich gewesen? Inessa hat immer noch Angst davor, einem Mann zu vertrauen.
Doch dem Führer der kommenden Revolution wird sie bald unentbehrlich. Und so bezieht sie mit zwei ihrer Kinder – Warwara, der Tochter Alexanders, und André, Sohn von Vlady – in der Avenue Reille eine Wohnung mit Blick auf den Parc Montsouris, ganz in der Nähe von Lenins Bleibe in der Rue Baunier. Inessa allerdings ist immer noch mit Alexander Armand verheiratet, Lenin mit Nadja Krupskaja. Man kann sich leicht denken, dass es ein äußerst heikles Unterfangen war, die beiden Frauen miteinander bekannt zu machen. Doch entgegen allen Erwartungen entwickelt sich zwischen Inessa und Nadja bald eine enge Freundschaft. Ihr Interesse an feministischer Politik vereinte, was die Eifersucht hätte trennen können.
Die beiden teilen sich die rund um Lenin angesiedelten Ressorts auf: Nadja besorgt den Briefwechsel mit den Genossen in Russland, Inessa jenen mit den kommunistischen Aktivisten Europas. Sie arbeiten eng zusammen. Nadja, die ihrem Mann keine Kinder schenken konnte, genießt das Zusammensein mit Inessa und ihren Kleinen.
Angelica Balabanoff, die Kommunistin und Feministin, die Mussolini für Lenin verlassen hat, mag die Intrigantin nicht. „Ich habe sie nicht besonders herzlich empfangen“, meint sie und erklärt dann: „Sie war pedantisch, hundertprozentig bolschewistisch in ihrer Art, sich zu kleiden, zu sprechen, zu denken.“ [15] Angelica findet, Inessa denke leninistischer als Lenin selbst. Das mochte daran liegen, dass der Revolutionsführer zu jener Zeit nicht ganz er selbst war. Seine Pläne waren gescheitert. Die Mitkämpfer haben ihn im Stich gelassen und fordern eine Rückkehr zu legalen Methoden. Dies hat Lenin schwer getroffen. Er weiß, dass er etwas tun muss, um seinen Ideen eine größere Verbreitung zu sichern. Die Anstrengung setzt ihm körperlich und geistig zu, mitunter ist er nicht einmal in der Lage, die Nachrichten zu hören.
Nadja macht sich Sorgen um ihn. Sie wendet sich an seine Mutter, Marija Alexandrowna, und seine jüngere Schwester Anna. Alle drei beschließen, dass er an einem ruhigen Ort Erholung suchen sollte, und zwar mindestens zwei Wochen lang. Die Damen fassen Nizza ins Auge und schicken ihn allein dorthin. Er soll sich ja ausruhen. „Ich erhole mich in Nizza“, schreibt er an Anna. „Es ist schön hier, so warm. Das Meer und die Sonne sind sehr
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