DIE FRAUEN DER DIKTATOREN
davon überzeugt, dass er diese immer mit der entsprechenden Umsicht einsetzen wird.“ Einige Tage später lässt er folgende Bemerkung anfügen: „Stalin ist zu roh. […] Ich schlage den Genossen vor […] Stalin von diesem Posten zu entfernen.“ Wenn dieser Brief bekannt wird, ist Stalin auf ewig diskreditiert.
Nur Nadja Krupskaja soll ihn öffnen dürfen, wenn Lenin tot ist. Ahnt sie, was mit der Nachfolge ihres Mannes auf dem Spiel steht, jenes Mannes, dessen Stellvertreterin sie im Moment ist? Natürlich kennt auch Stalins Frau den Inhalt des Briefes. Was sie wohl darüber dachte?
Nadja gegen Stalin
Am 22. Dezember hat Stalin, seit einigen Tagen mit der Führung der Regierungsgeschäfte betraut, einen heftigen Streit mit Nadja Krupskaja. In gröbstem Ton wirft er ihr vor, sie habe zugelassen, dass ihr Mann seine letzten Kräfte mit dem Schreiben von Briefen vergeude, und droht ihr, sie beim Zentralkomitee zu melden. Was er über Nadja zu sagen weiß, ist nicht gerade eines Kavaliers würdig: „Warum soll ich vor ihr Männchen machen? Mit Lenin zu schlafen heißt ja nicht, dass man den Marxismus-Leninismus versteht. Nur weil sie dasselbe Klo benutzt wie Lenin …“
Mit unvergleichlichem Feingefühl gibt Stalin Nadja einen Vorgeschmack auf das, was sie nach Lenins Tod zu erwarten hat. Er bedroht sie. Nicht nur wird er sie beim Zentralkomitee anzeigen, er wird für die Geschichte eine andere Lenin-Witwe aus dem Hut zaubern, indem er eine andere Frau zu Lenins offizieller Witwe ernennt: „Wenn sie das Maul nicht hält, wird die Partei die alte Elena Stasowa – eine enge Freundin Inessas – zur offiziellen Witwe Lenins ernennen.“
Nadja wartet bis zum 5. März 1923, bevor sie Lenin von dem Streit mit Stalin berichtet. Wutentbrannt schreibt dieser sofort an Stalin:
„Geschätzter Genosse Stalin,
Sie hatten die Stirn, meine Frau anzurufen und sie zu beleidigen. Obwohl sie bereit war, das Gesagte zu vergessen, hat sie doch mit Sinowjew und Kamenew gesprochen. […] Ich jedenfalls habe nicht die Absicht zu vergessen, was gegen mich unternommen wurde, denn es versteht sich von selbst, dass das, was gegen meine Frau gerichtet ist, sich gegen mich selbst richtet. Ich muss Sie daher bitten, sich zu entscheiden, ob Sie bereit sind, Ihre Äußerungen zu widerrufen und sich zu entschuldigen, oder ob Sie es vorziehen, die Beziehungen zwischen uns abzubrechen.“
Die Spannungen im Kreml setzen Nadja schrecklich zu. Clara Zetkin begegnet ihr während dieser Zeit. Sie hatte sie seit der Zeit in Bern 1915 nicht mehr gesehen. „Mit ihren glatten Haaren, die nach hinten gekämmt in einen Knoten münden, und mit ihrem strengen Kostüm hätte man sie für eine erschöpfte Arbeiterin halten können“, schreibt Zetkin.
Am 10. März erleidet Lenin einen weiteren Schlaganfall. Nun kann er weder schreiben noch diktieren. Stalin leistet ihm den Treueid und leugnet jede Beleidigung Nadjas. Er bittet Lenin um Entschuldigung. Doch Lenin hat seine Entscheidung getroffen: Er wird sein politisches Testament nicht ändern.
Nach Lenins Tod im Januar 1924 entwickelt Nadja mehr schlecht als recht eine Arbeitsbeziehung zu Stalin, der nun doch der Nachfolger ihres Mannes geworden ist. Aber ganz ausgefochten ist der Kampf noch nicht: 1925 unterstützt Nadja Kamenew und Sinowjew, die mit Lenin in Longjumeau gewesen waren und ihre Zweisamkeit hautnah erlebt hatten, gegen Stalin. „Ich werde der Welt sagen, wer in Wahrheit Lenins Frau gewesen ist“, droht er ihr einmal mehr.
Doch auch Stalin hat einen Trauerfall in der Familie: Seine Frau stirbt im November 1932. Endlich ist Nadja gerächt. Sie schreibt dem Diktator einen Brief, der voller Doppeldeutigkeiten ist:
„Lieber Jossif Wissarionitsch,
ich denke in jüngster Zeit häufig an Dich. Und ich möchte Dir meine Unterstützung anbieten. Es ist schlimm, den Menschen zu verlieren, dem man am nächsten steht. Ich kann mich an die Gespräche erinnern, die wir in Iljitschs Büro während seiner Krankheit führten. Sie haben mir damals viel Kraft gegeben. Dafür drücke ich Dir die Hand.
Nadeschda Krupskaja“
Die Nachricht ist eine verschleierte Provokation: Nadja erinnert ihn an den Streit, in dessen Verlauf er sie beleidigt hatte, weil er die Macht an sich reißen wollte. Sie zeigt Stalin, dass sie nicht vergisst. Und um ihn noch mehr zu ärgern, duzt sie ihn auch noch. Und sie schreibt seinen Namen falsch: Wissarionitsch statt Wissarionowitsch. Außerdem verweigert sie ihm
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