Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
seine eigenen Routinen die von Lövhaga ablösten. Wenn die Stunden seine Stunden wurden. In zwei Stunden würde er beginnen. Langsam nahm er das mittlere Tuch heraus und faltete es erwartungsvoll auseinander. Auf der Rückseite stand mit dünnem Bleistiftstrich geschrieben:
«5325 3398 4771»
Zwölf Ziffern, die die Freiheit bedeuteten.
A ls letzter Punkt stand auf seiner Liste, dass er Trolle erreichen und dessen Nachforschungen stoppen musste. Sebastian hatte ihn mehrmals sowohl von der Arbeit aus angerufen als auch später vom Handy, aber Trolle hatte sich den ganzen Tag nicht zurückgemeldet. Jetzt ließ er es erneut eine halbe Ewigkeit klingeln. Allmählich wurde er unruhig. Beim Gedanken daran, dass Torkel seinen ehemaligen Kollegen früher oder später kontaktieren würde, lief es ihm eiskalt den Rücken hinunter, aber es würde zwangsläufig passieren. Trolle war immerhin einer der besten Polizisten gewesen, die in den Neunzigern im Fall Hinde ermittelt hatten, und Torkel respektierte ihn in gewisser Weise. Nicht als Mensch, dazu waren sie viel zu gegensätzlich, aber als Ermittler. Man konnte von Trolle halten, was man wollte, aber es ließ sich nun einmal nicht leugnen, dass er immer gute Leistungen erbracht und Ergebnisse geliefert hatte. Früher oder später würde Torkel mit ihm reden wollen, insbesondere, wenn die Ermittlungen weiterhin nicht vorankamen. So funktionierte gute Polizeiarbeit. Man drehte jeden Stein um, setzte Prioritäten, begann bei den Personen, die dem Anschein nach am meisten mit dem Fall zu tun hatten, und arbeitete sich dann immer weiter nach außen vor. So lange, bis man allen Ideen und Möglichkeiten nachgegangen war. Anschließend begann man wieder von vorn. Trolle war nicht unbedingt die heißeste Spur, aber mit der Zeit würde ein guter Polizist auf die Idee kommen, dass sich ein Gespräch mit ihm lohnte – und Torkel war ein guter Polizist. Sogar einer der besten. Irgendwann in naher Zukunft würde er auch den Trolle-Stein umdrehen. Und wenn das geschah, konnten plötzlich alle Dämme brechen, alles, was Sebastian verborgen hatte, würde heraussprudeln – und es wäre alles zerstört.
Denn Trolle Hermansson konnte man einfach nicht über den Weg trauen.
Sebastian hatte Trolle ja genau aus dem Grund beauftragt. Weil er keine Skrupel hatte und keinerlei moralische Bedenken. Er fände es garantiert sehr befriedigend, Torkel – oder noch schlimmer: Vanja – gegenüber auszupacken, dass Sebastian Bergman ihn damit beauftragt hatte, schmutzige Details über Vanjas Eltern auszugraben. Dieses Risiko konnte Sebastian nicht eingehen.
Nachdem er ihn schon wieder nicht erreichte, entschied Sebastian, zu Trolle nach Hause zu fahren. Dass er nicht ans Telefon ging, musste nicht heißen, dass er nicht da war. Sebastian setzte sich in ein Taxi. Inzwischen war es draußen etwas abgekühlt, und er öffnete das Fenster, um ein bisschen frische Luft zu schnappen. Er sah leichtgekleidete Spaziergänger, die durch die abendlichen Straßen schlenderten. In den lauen Sommernächten lebte die Stadt wirklich auf. Alle sahen so jung und glücklich aus, wie sie dort in kleineren und größeren Grüppchen entlangflanierten. Sebastian überlegte, wo sich wohl die Einsamen, Alten und Deprimierten im Sommer versteckten.
Als das Taxi fast am Ziel angekommen war und Sebastian sich zum Aussteigen bereitmachte, entdeckte er Trolle auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig. Er war nur schwer zu übersehen in seinem großen schwarzen Mantel. Die meisten Menschen, an denen Sebastian unterwegs vorbeigefahren war, hatten gar keine Jacken getragen und wenn doch, dann in hellen Farben und aus leichten Stoffen. Trolle dagegen sah aus, als hätte er sich für einen bitterkalten Winter gerüstet. Hastig forderte Sebastian den Taxifahrer auf zu halten und warf ihm einige Hundertkronenscheine hin. Er sprang aus dem Taxi und hastete Trolle hinterher, der mehrere hundert Meter weiter vor ihm in den Ekholmsvägen abbog und aus seinem Blickfeld verschwand. Er schien auf dem Weg nach Hause zu sein. Sebastian rannte ihm nach. Es war lange her, dass seine Beine und sein Herz so hart gearbeitet hatten, und das Gefühl angenehmer Kühle, das er im Taxi noch verspürt hatte, war sofort wie weggeblasen. Er schwitzte und schnaufte, als er ebenfalls um die Ecke zum Ekholmsvägen sprintete und Trolle durch seine Haustür schlüpfen sah. Sebastian blieb stehen und rang nach Atem. Jetzt wusste er, wo er Trolle fand, und
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