Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
optimale System zur Archivierung gefunden hatte. Noch kein perfektes Ritual.
Der erste Teil, bei dem er die Artikel ausschnitt, zusammenlegte und die zerschnittenen Zeitungen in die Altpapiertüte warf, funktionierte zufriedenstellend. Aber der Rest – in den Umschlag, in die Kommode – hatte noch Schwächen. Diesen Teil musste er dringend modifizieren. Verbessern.
Er wollte sie sehen, anfassen, berühren.
Deshalb hatte er sich eine Mappe angeschafft. Erst hatte er überlegt, alles nach Datum zu sortieren und jedem Tag eine eigene Prospekthülle zu geben, sich am Ende aber dafür entschieden, die Artikel nach den Zeitungen zu ordnen, damit man schneller den Handlungsverlauf aus der Perspektive der einzelnen Publikationen nachvollziehen konnte. Aber irgendetwas fehlte immer noch. Etwas stimmte nicht. In der Nacht sortierte er das Material erneut um, jetzt nach Größe. Erst ganzseitige Artikel, dann welche, die über eine dreiviertel Seite gingen und so weiter. Zu seiner Freude bemerkte er, dass kein Artikel kürzer als eine Viertelseite war. Er hatte ganz eindeutig einen großen Nachrichtenwert. Das war etwas völlig Neues für ihn.
Etwas zu bedeuten.
Beachtet zu werden.
Irgendeinen Wert zu haben.
Er war mit dem neuen System zufrieden, jetzt fühlte es sich richtig an, und er schlug die Mappe zu und stand auf. Allmählich füllte sie sich. Immer mehr Zeitungen brachten zunehmend ausführlichere Berichte. Morgen würde er eine neue Mappe kaufen, vielleicht sogar zwei. Auf alle Fälle etwas Exklusiveres. Es wirkte nicht länger angemessen, die Berichterstattung über das Größte, was er je geleistet hatte, in ordinären Aktenordnern von Esselte aufzubewahren. Er musste seine Bedeutung und die des Meisters damit präsentieren, seinen Stolz zum Ausdruck bringen.
Er ging ins Bad, um sich für die Nacht fertig zu machen, und drehte an der kleinen Sanduhr, die er an der Wand festgeschraubt hatte, ein Fund aus einem Kuriositätenladen in Södermalm. Das Glas war auf einem blauen Holzstück befestigt, und darüber stand: «Der Sand der Uhr zeigt es Dir an: Putz zwei Minuten Zahn für Zahn!» Ein perfektes Hilfsmittel, um sich den Alltag zu erleichtern und die Kraft der Rituale aufrechtzuerhalten. Jetzt putzte er seine Zähne gründlich, bis das letzte Sandkorn nach unten gesickert war, und schloss die Reinigung wie immer mit Zahnseide ab. Er wendete sie morgens und abends an, es gefiel ihm, einen sauberen Mund zu haben. Er war entzückt über den Blutgeschmack vom Zahnfleisch und zog den weißen Faden fünfmal hintereinander so fest zwischen jedem Zahn hin und her, bis es an mehreren Stellen blutete. Anschließend spülte er den Mund und betrachtete das rotgefärbte Wasser, das er ins Waschbecken spuckte. Er spülte und spuckte erneut. Diesmal war das Wasser weniger blutig, hatte aber immer noch einen leicht rötlichen Ton. Ob es nach einer dritten Spülung klar gewesen wäre, wusste er nicht, denn er spülte nie mehr als zweimal.
Der Laptop im Schlafzimmer gab ein kurzes Pling von sich. Ralph wusste sofort, was das bedeutete. Eine neue Nachricht vom Meister. Der Computer verriet ihm jedes Mal durch ein Signal, wenn es auf fyghor.se eine Aktualisierung gegeben hatte. Am liebsten wäre er sofort ins Schlafzimmer gerannt, aber er musste sich erst waschen.
Der Meister mahnte immer wieder zur Geduld. Das musste er sich hinter die Ohren schreiben, dachte er. Den Platz in seinem Inneren wahren, an dem man die Dinge in der richtigen Reihenfolge tat.
Die Rituale.
Das Fundament.
Er hielt seine Hände unter das laufende Wasser, drückte zweimal auf den Pumpspender der Seife, schäumte sie auf, indem er die Handflächen sechsmal aneinanderrieb, und spülte sie mit genauso vielen Bewegungen wieder ab. Dann wusch er sich ebenso ordentlich das Gesicht, trocknete sich dem Ritual gemäß ab und beendete die Behandlung mit der geschmeidigen Gesichtscreme.
Jetzt war er bereit für den Meister.
Die Mitteilung war kurz und präzise. Ein neuer Auftrag.
Er durfte nicht selbst wählen. Aber das war nicht weiter schlimm, denn der Meister hatte die gleiche Wahl getroffen.
Anna Eriksson.
Sie war die Nächste.
Die Fünfte.
T rolle hatte nur vier Stunden geschlafen, als der Wecker klingelte. Trotzdem war er erstaunlich wach und stand sofort von seinem Sofa auf. Es war ein merkwürdiges Gefühl, denn normalerweise schlief er mindestens neun Stunden und fühlte sich trotzdem bedeutend müder. Er zog den Rollladen hoch und blickte in
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