Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
offenbar als Kritik auf.
«Es tut mir leid, dass ich bloß Instantkaffee habe, aber ich trinke nur Tee.»
«Das ist schon in Ordnung …»
Sie füllte auch ihre eigene Tasse mit Wasser und wollte den Wasserkocher zurückstellen. Auf halber Strecke hielt sie inne.
«Nimmst du Milch?»
«Nein.»
«Ich kann sie auch aufwärmen, wenn du willst? Wie in einem Latte?»
«Nein, nicht nötig, danke.»
«Sicher?»
«Ja.»
«Okay.»
Sie lächelte, setzte sich ihm gegenüber, nahm einen Teebeutel – Zitrone-Ingwer –, hängte ihn in das heiße Wasser, zog ihn einige Male hoch und tauchte ihn wieder ein. Erneut suchte sie Sebastians Blick und lächelte. Er rang sich etwas ab, das sich mit einem gewissen Wohlwollen als Lächeln interpretieren ließ, und wandte sich dann schnell wieder ab. Er wollte nicht hier sein. Normalerweise vermied er solche Situationen. Und jetzt erinnerte er sich auch daran, warum. Er konnte dieses falsche Gefühl der Zusammengehörigkeit einfach nicht aushalten, diese Illusion von Gemeinsamkeit, obwohl sie sich nie wiedersehen würden – jedenfalls, wenn es nach ihm ging. Er fixierte einen Punkt auf dem Kühlschrank und ließ seine Gedanken abschweifen, während Ellinor schweigend einen Löffel Honig in ihren Tee rührte. Sie nahm ein Baguettebrötchen aus dem Korb, schnitt es der Länge nach durch, schmierte Butter darauf, belegte es mit Käse, Schinken und zwei Ringen gelber Paprika. Dann biss sie ab und betrachtete Sebastian kauend. Der starrte noch immer auf den Raum hinter ihr.
«Sebastian?»
Sebastian zuckte zusammen und sah sie fragend an.
«Woran denkst du?»
Er war wirklich weit weg gewesen. Schon wieder. Dort, wohin er immer abtauchte. Zu dem Gedanken, der momentan all seine wache Zeit in Anspruch nahm. Das war ein beinahe unbekanntes Gefühl für Sebastian: Besessenheit. Nicht einmal zu jenen Zeiten, als er beruflich extrem engagiert und erfolgreich gewesen war, war es ihm schwergefallen, unwillkommene Gedanken beiseitezuschieben. Wenn ein Fall sein Leben stärker beeinflusste, als es ihm lieb war, dachte er ganz einfach ein paar Tage lang nicht mehr daran. Tat andere Dinge. Um sich anschließend wieder effektiv in die Arbeit zu stürzen.
Sebastian Bergman war ein Mann, der nie die Kontrolle verlor. Nicht wegen irgendeiner Sache, nicht wegen irgendjemandem. Jedenfalls war es bisher so gewesen.
Jetzt hatte er sich verändert.
Das Leben hatte ihn erschüttert. Ihm geschadet.
Nicht nur einmal, sondern nun schon zum zweiten Mal.
Er hatte die Katastrophe in Thailand am zweiten Weihnachtstag noch lange nicht verwunden, als er vor drei Monaten nach Västerås kam. Sein eigentliches Ziel war es gewesen, das Haus seiner Eltern zu verkaufen, und bei der Entrümpelung war er schließlich auf einige Briefe gestoßen. Briefe aus dem Jahr 1979, die an seine Mutter adressiert waren – von einer Frau, die mit seinem Kind schwanger war. Briefe, die er nie erhalten hatte. Doch als er sie entdeckt hatte, hatte er alles getan, um die Absenderin ausfindig zu machen. Sebastians alte Kollegen von der Reichsmordkommission hatten sich zu dieser Zeit gerade in Västerås befunden, und er hatte sich in die Ermittlungen eingeschlichen, um Zugriff auf alle der Polizei zugänglichen Register zu haben. Er wollte ein Gesicht. Eine Adresse. Gewissheit.
Und tatsächlich hatte er all das auch bekommen. Eine Frau hatte ihm in der Storskärsgatan 12 die Tür geöffnet. Ein Gesicht. Anna Erikssons. Da hatte er Gewissheit. Ja, er hatte eine Tochter, aber diese sollte nie erfahren, dass Sebastian ihr Vater war. Denn sie hatte bereits einen Vater. Valdemar Lithner. Der hingegen wusste, dass Vanja nicht sein leibliches Kind war.
Deshalb sollten sie sich nie kennenlernen, Sebastian und seine Tochter. Das würde zu viel zerstören. Alles zerstören. Für alle. Also musste Sebastian versprechen, dass er sie nie aufsuchen würde.
Das Problem war nur, dass sie sich bereits begegnet waren. Mehr als das: Sie hatten zusammengearbeitet.
In Västerås. Er und Vanja Lithner. Ermittlerin bei der Reichsmordkommission. Smart, energisch, effektiv, stark.
Seine Tochter.
Er hatte wieder eine Tochter.
Seither hatte er sie sozusagen verfolgt. Den Grund dafür konnte er nicht erklären, nicht einmal sich selbst. Er musste sie einfach sehen, aber dabei beließ er es auch. Er gab sich nie zu erkennen. Was sollte er auch sagen? Was konnte er sagen?
Jetzt sah er zu Ellinor auf, die ihn freundlich gefragt hatte, woran er denke,
Weitere Kostenlose Bücher