Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Wo? Er hatte keine Ahnung. Er war buchstäblich paralysiert.
Die Sorge, die Angst, Jenny, seine Arbeit.
Im Garten hatten mittlerweile die Apfelbaumtypen ihre Arbeit aufgenommen. Er sah, wie sie ankamen und anfingen herumzulaufen. Irgendwo hindeuteten und diskutierten. Dann wurden sie sich über die ideale Lage einig und begannen, auszumessen und zu graben. Holten Säcke mit Erde. Ein ganz normaler Arbeitstag für die beiden. Ein normales Leben, das nur wenige Meter von ihm entfernt stattfand. Eine Wirklichkeit, die zum Greifen nahe war.
Es fiel ihm schwer, klar zu denken. Was konnte er tun? Er konnte doch nichts damit zu tun haben? Durfte nichts damit zu tun haben! Jenny war weg. Er hatte etwas damit zu tun. Aber das musste niemand wissen. Jenny durfte auf keinen Fall etwas zustoßen. Seine Gedanken hüpften hin und her, wie die Nadel auf einer zerkratzten Schallplatte die Rillen wechselt.
Hinde sollte ins Krankenhaus verlegt werden. Vermutlich hatte er Lövhaga bereits verlassen. Er wollte verlegt werden. Irgendetwas würde passieren. Was? Sollte Haraldsson Alarm schlagen? /Sprung/
Könnte das Jenny retten? Jenny war weg. /Sprung/
Was sollte er als Begründung dafür angeben, dass er Alarm schlug? Er konnte wohl kaum von gewissen Diensten erzählen, die er Hinde geleistet hatte, und dass einer davon es Hinde offenbar erst ermöglicht hatte, das Gefängnis überhaupt zu verlassen. Das wäre nicht nur Karriereselbstmord, sondern sicher auch strafbar. /Sprung/
Jenny. Wo war sie? Sie durfte nicht tot sein. Was sollte er nur ohne sie tun? Wie sollte er dann noch weiterleben? /Sprung/
Zu dem Zeitpunkt, als Jenny verschwand, hatte Hinde Lövhaga allerdings noch nicht verlassen, und Ralph war bereits verhaftet worden. Was bedeutete das? Hatte Hinde noch andere Helfer außerhalb des Gefängnisses? /Sprung/
Ingrid Marie durfte nicht mit einem Vater aufwachsen, der im Knast saß. /Sprung/
Sollte er Alarm schlagen? Konnte er Alarm schlagen? Wie sollte er seine Sorge begründen? Vielleicht war Hinde wirklich krank. Vielleicht war er tatsächlich ins Krankenhaus gekommen. Dann würde eine Warnung vor einem Fluchtversuch gelinde gesagt verdächtig wirken. Und wenn er so etwas befürchtete, warum hatte er den Transport dann überhaupt genehmigt? /Sprung/
Ich habe noch nie eine schwangere Frau getötet./Sprung/
Was würde passieren, wenn er Alarm schlug?
Was würde passieren, wenn er es nicht tat?
Mit Jenny.
Sein Handy klingelte erneut. Haraldsson spürte, wie sein Herz vor Hoffnung schneller schlug, als er das Telefon aus der Tasche nahm. Eine ihm unbekannte Nummer. Nicht Jenny. Er nahm das Gespräch vorsichtshalber trotzdem an.
«Haraldsson.»
«Hier ist Edward Hinde.»
Auf einen Schlag war Haraldssons Kopf vollkommen leer. Alle Gedanken, die sich dort zuvor überschlagen hatten, waren wie weggeblasen.
«Von wo aus rufen Sie an?», war das Einzige, was er hervorbrachte.
«Das spielt keine Rolle. Sie haben getan, worum ich Sie gebeten hatte, also steht Ihnen jetzt eine Frage zu.»
Haraldsson hörte jedes Wort. Hörte es, verstand es aber nicht. «Wie bitte?»
«Was ich verspreche, halte ich auch. Sie haben mit Ja geantwortet, genau, wie ich es verlangt habe, und dafür dürfen Sie mir jetzt eine Frage stellen.»
«Was haben Sie …»
«Warten Sie», unterbrach Edward Hinde ihn.
Haraldsson verstummte sofort.
«Ich möchte mich ja nicht einmischen», fuhr Hinde mit sanfter Stimme fort, «aber ich würde an Ihrer Stelle lieber fragen ‹Wo ist meine Frau?›»
Haraldsson schloss die Augen. Hinter seinen Lidern zuckten Blitze. Er befürchtete, dass er gleich ohnmächtig würde. Das durfte er nicht. Dann würde er es nie erfahren. Stille Tränen rannen seine Wangen hinab.
«Wo ist meine Frau?»
Fast hätte seine Stimme versagt.
Hinde begann zu berichten.
I n der ganzen Wohnung standen die Fenster offen, und trotzdem war es warm. Klebrig. Stickig.
Vanja saß mit der Fernbedienung auf dem Sofa und schaltete zwischen den einzelnen Programmen hin und her. Nicht gerade die beste Sendezeit, diese Tageszeit, das war fast schmerzlich deutlich. Sie schaltete den Fernseher aus, warf die Fernbedienung aufs Sofa und schnappte sich die Sonderausgabe der beiden Boulevardzeitungen, die auf dem Tisch lagen. Expressen brachte zehn Seiten über die Verhaftung von Ralph Svensson. Die erste Seite nicht mitgerechnet, die mit einem großen Porträt von ihm aufmachte. Ohne schwarzen Balken, direkt unter der Schlagzeile: «ER
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