Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
hatte der Fahrer einen Fluchtversuch unternommen. Doch er war nicht schnell genug gewesen. Roland hatte ihn eingeholt, gepackt und seinen Kopf dreimal gegen das Blech des Autodachs geschlagen. Jetzt packte er den bewusstlosen Fahrer, damit dieser den anderen Gesellschaft leisteten konnte. Die Wärter kümmerten sich nicht um ihn. Der eine war schon gestorben, der andere war gerade dabei. Roland nahm die Handschellen von ihren Gürteln, drehte den Sanitäter um und fesselte ihm mit den Handschellen die Hände auf den Rücken. Dann wandte er sich Fatima zu, die noch immer auf dem Stuhl neben der Bahre saß.
«Komm.»
Fatima schüttelte nur den Kopf, nicht in der Lage, sich zu bewegen. Roland trat einen Schritt zu ihr, hob sie vom Stuhl und drückte sie neben die anderen beiden auf den Boden. Sie leistete keinen Widerstand, als er ihr die Hände auf den Rücken fesselte. Er griff sich eine Decke, verließ den Krankenwagen und ging wieder an Edward vorbei zum Führerhaus. Er fegte die Scherben weg, die überall auf dem Sitz verstreut lagen. Als er sie fast alle beseitigt hatte, breitete er die Decke darauf aus. Dann ging er zu Edward zurück und half ihm mit seinem Tropf auf den Beifahrersitz. Bevor er die Tür schloss, schlug er mit der Faust die letzten Glasreste aus dem Fenster, sodass es zwar offen aussah, aber nicht mehr kaputt. Nun, da Edward versorgt war, eilte er zu dem geparkten Saab und nahm eine Rolle Isolierband vom Rücksitz. Er ging wieder zu den Hintertüren und den vier Menschen im Innenraum und band die Füße des Sanitäters und der Frau zusammen. Er glaubte zwar nicht, dass sie versuchen würden, auf sich aufmerksam zu machen, denn der Mann würde noch für eine geraume Zeit bewusstlos sein und das Weib schien vollkommen apathisch. Aber sicherheitshalber. Roland beendete sein Werk, indem er das Klebeband zweimal über ihre Münder wickelte. Er sprang hinaus, schlug die Türen zu, setzte sich dann hinters Steuer und drehte den Zündschlüssel um. Das alles hatte keine fünf Minuten gedauert. Niemand hatte sie gesehen. Nirgends rührte sich etwas. Keine Sirenen, die sich näherten. Nur das Rauschen des Waldes war zu hören.
Dann fuhren sie los. Edward warf einen Blick in den Rückspiegel und sah, wie der rote Saab immer kleiner und kleiner wurde. Sie ließen ihn hinter sich. Verließen ihn. So wie er Lövhaga hinter sich gelassen, es verlassen hatte.
Jetzt konnte und musste er nach vorn blicken.
Roland fuhr knapp über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Die E55 zählte nicht zu den Lieblingsstraßen der Polizei, wenn es um Geschwindigkeitskontrollen ging, und schon gar nicht bei Rettungsfahrzeugen. Dessen war Edward sich sicher, aber es wäre natürlich dumm, ein unnötiges Risiko einzugehen. Eine Begegnung mit den Ordnungshütern wäre aus mehreren Gründen nicht optimal: Sie würden sich über die fehlende Seitenscheibe wundern. In der Fahrerkabine gab es Blutspuren. Roland trug keine Berufskleidung. Einem aufmerksamen Polizist würde all das auffallen. Aber das war ein Problem, das sie erst dann lösen mussten, wenn es tatsächlich auftrat.
Draußen war es schön. Sommerlich grün. Edward wurde fast schwindelig, als er die wogende Landschaft sah, die sich da draußen ausbreitete. So viel Fläche. Raum. Aus dieser Perspektive erschienen ihm seine letzten vierzehn Jahre noch unfreier, noch begrenzter. Wenn er sah, was ihm vorenthalten worden war. Er genoss die Fahrt, genoss jede neue Aussicht, die sich ihm entlang der kurvenreichen Straße bot. Durch das offene Fenster kam der Wind hereingeweht und erfasste sein dünnes Haar. Er schloss erneut die Augen. Atmete tief durch. Leistete es sich zu entspannen. Die Luft fühlte sich leichter an. Anders. Mit jedem Atemzug wuchs seine Kraft. So atmete ein freier Mann.
Roland wurde langsamer. Edward öffnete die Augen. Sie erreichten die E18. Noch eine halbe Stunde, und sie wären in Stockholm. Edward drehte sich zu Roland um.
«Hast du ein Telefon?»
Roland steckte die Hand in die Tasche und reichte ihm sein Handy. Edward wählte aus dem Gedächtnis eine Nummer und wartete, dass sich jemand meldete, während Roland die Geschwindigkeit auf hundertzehn Stundenkilometer erhöhte.
H araldsson stand im Schlafzimmer am Fenster. Er verharrte dort, seit er die Tür geöffnet und den Raum leer vorgefunden hatte. Er war an dem ungemachten Doppelbett vorbei zum Fenster gegangen und dort stehen geblieben. Was hätte er sonst tun sollen? Nach Jenny suchen?
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