Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
IST DER SOMMERSCHLÄCHTER». Wenn man genau hinsah, konnte man darüber die Zeile erkennen: «Die Polizei glaubt» – in bedeutend kleineren Buchstaben. Ralph war noch nicht verurteilt. Soweit Vanja wusste, war er noch nicht einmal dem Haftrichter vorgeführt worden, und dennoch stand er bereits am Pranger. Es entsprach nicht mehr dem Zeitgeist, die Veröffentlichung von Bildern und Namen zu begrenzen. Den Verdächtigen frühzeitig zu identifizieren und Foto und Namen zu bekannt zu machen, war angeblich «von öffentlichem Interesse». Was bedeutete, dass die Leser nicht willens waren, nur für eine Menge Pixel zu bezahlen. Davon abgesehen, dass Vanja diese Entwicklung persönlich unethisch fand, erschwerte sie ihnen mitunter auch die Arbeit. Zeugenkonfrontationen waren plötzlich viel weniger wert, wenn der Verdächtige von jeder Titelseite herabstarrte. Das Bild auf der ersten Seite des Expressen stammte aus Ralphs Pass und war nicht gerade schmeichelhaft. Er sah genauso durchgedreht aus, wie es auch alle anderen Menschen auf Passbildern taten. In der Zeitung konnte man seine gesamte Lebensgeschichte nachlesen. Von seiner kranken Mutter, dem Vater, der neu geheiratet hatte, der lieben Verwandtschaft, den Umzügen, dem Geld, den verschiedenen Schulen und Arbeitsplätzen. Sie hatten einige alte Klassenkameraden aufgetrieben, die Ralph Svensson als still und zurückhaltend erlebt hatten. Ein bisschen merkwürdig. Unnahbar. Einer, der meistens für sich blieb. Das mochte schon stimmen, darüber wusste Vanja nichts, aber sie fragte sich, ob die Zeitung die gleiche Antwort bekommen hätte, wenn sie angerufen und berichtet hätte, Ralph Svensson sei gerade der Nobelpreis verliehen worden – anstelle der Nachricht, dass er ein vermeintlicher Serienmörder war. Irgendwie passte das alles zu gut ins Bild. Der einsame Wolf. Der Einzelgänger. Der Sonderling. Vanja glaubte, dass diese ehemaligen Klassenkameraden, die sicherlich schon seit zwanzig Jahren keinen Gedanken mehr an Ralph verschwendet hatten, ganz einfach der Last der Erwartungen erlegen waren. Nachdem die Zeitung Ralphs Leben ausgebreitet hatte – ohne auf seine eventuellen Träume, Hoffnungen, Wünsche und andere Nebensächlichkeiten einzugehen, die ihn zu sehr vermenschlicht hätten –, berichtete sie mindestens genauso ausführlich über Edward. Die Journalisten hatten Glück, dass Ralph ein Nachahmungstäter war, denn so konnten sie die Nachrichten von 1996 noch einmal breittreten. Vanja hatte keine Lust, das alles erneut durchzulesen. Sie warf auch die Zeitung aufs Sofa, stand auf und ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Es war kurz nach halb sieben. Die Sonne würde erst in zwei Stunden untergehen, aber die Temperaturen wurden allmählich erträglich. Eine laue Brise wehte durch das offene Fenster herein.
Sie war rastlos.
Normalerweise wurde sie von einer angenehmen Müdigkeit erfasst, wenn sie einen Fall abgeschlossen hatten. Als könnten ihr Körper und ihr Gehirn nach der wochenlangen Anspannung endlich abschalten. Runterkommen. Sonst genügte es ihr an solchen Tagen, Pizza zu essen, ein bisschen zu viel Wein zu trinken und einfach nur auf dem Sofa herumzulümmeln. Aber diesmal war es anders.
Sie hatten den richtigen Mann gefasst, da war sie sich sicher. Sebastian Bergman war vollkommen ausgebootet, auch das war ausgezeichnet. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es ihm ein weiteres Mal gelingen würde, sich in ihr Team zu drängen. Torkel hatte deutlich gezeigt, dass auch er der Meinung war, es sei jetzt genug, und sogar Sebastian selbst schien die Nase voll zu haben. Alles in allem also eine gute Arbeit. Ein guter Tag. Warum konnte sie sich trotzdem nicht entspannen?
Weil noch nicht alles gut war. Nicht zwischen ihr und Billy. Nun, da der Fall in eine ruhigere Phase eingetreten war, konnte sie sich mehr auf die Spannungen zwischen ihnen beiden konzentrieren. Seit sie im Auto gesagt hatte, sie sei die bessere Polizistin, war ihr Verhältnis verständlicherweise ziemlich angespannt. Vorher auch schon, wenn sie ehrlich war, aber seit ihrer Beleidigung führten sie einen offenen Krieg.
Jedenfalls erlebte sie es so. Er hatte zwar mit alldem angefangen, aber sie hatte die Situation mit ihren dämlichen Kommentaren zum Eskalieren gebracht, also musste sie den Streit auch beilegen. Sie würde ihm zumindest die Hand zur Versöhnung reichen. Billy war zu wichtig, als dass sie das auf sich beruhen lassen könnte. Denn wenn es so
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