Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Riegel zurück und riss sie auf. Nach einigen Metern Zwischenraum gelangte er zur nächsten Tür. Jetzt konnte er das Klopfen laut vernehmen. Sie war auf jeden Fall am Leben. Vorher hatten die dicken Steinwände das Geräusch gedämpft, aber jetzt war es deutlich zu hören. In der nächsten Tür steckte ein Schlüssel. Haraldsson drehte ihn im Schloss um und öffnete sie.
Direkt dahinter stand Jenny und blinzelte in die ungewohnte Helligkeit. Er stürzte auf sie zu und umarmte sie fest.
Sie klammerte sich an ihn. Lange.
Auf der Rückfahrt hatten sie zunächst geschwiegen. Natürlich hatte Jenny Angst gehabt. Todesangst. Erst als der große Mann vor dem Sommerhaus hielt, hatte sie gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Dort hatte er ihre Tasche an sich gerissen, sie aus dem Auto gezerrt und in den Erdkeller gestoßen. Anschließend hatte sie vor Aufregung nicht mehr klar denken können. Doch jetzt, als sie wieder in Sicherheit war, kamen ihr die Fragen. Sie musste verstehen.
Haraldsson hasste es, sie anzulügen, aber momentan war vieles noch zu unsicher, um auch nur eine frisierte Version der Wahrheit zu präsentieren. Stattdessen behauptete er, er habe mit seinen ehemaligen Kollegen gesprochen, nachdem der richtige Taxifahrer ihn angerufen hatte, und dass sich offenbar eine Bande darauf spezialisiert hatte, Leute an ihren Arbeitsplätzen abzuholen und so auszurauben. Die Polizei gehe davon aus, dass sie sich in das System des Taxiunternehmens eingehackt hatten und daher wussten, welche Autos vorbestellt worden waren.
Jenny gab sich damit zufrieden.
Vermutlich würde sie später noch mehr Fragen stellen, wenn sie das alles erst verarbeitet hatte, aber dann würde er auch wissen, wie die Ereignisse des Tages ausgegangen waren, und konnte seine Antworten dementsprechend anpassen. Aber jetzt würden sie erst einmal nach Hause fahren.
Er war so froh, dass sie unverletzt war.
Kaum hatten sie das Haus betreten, da rief Victor schon wieder an. Gestresst. In einer dringenden Angelegenheit. Der Krankenwagen mit Hinde sei nicht in Uppsala angekommen, und die Klinik könne keinen Funkkontakt mit ihm herstellen, genauso wenig, wie Lövhaga die Aufseher erreichen konnte, die als Begleitung mitgefahren waren. Haraldsson müsse sofort herkommen.
Er versuchte sich herauszureden, aber Victor machte ihm deutlich, dass eine solche Situation die Anwesenheit des Anstaltsleiters erforderte. Also erzählte Jenny, dass er gezwungen war, für eine Weile wieder zur Arbeit zu fahren. Wirklich gezwungen. Ob er sie zu einer Freundin bringen solle, damit sie nicht allein wäre? Nein, sie wollte bei ihm bleiben. Also gingen sie gemeinsam zum Auto zurück.
Jenny war einen Großteil der Fahrt über stumm. Vermutlich verarbeitete sie die Ereignisse des Tages. Haraldsson passte das eigentlich ganz gut. Er musste alle denkbaren Szenarien durchgehen und überlegen, wie er mit der entstandenen Situation umgehen sollte.
Er hatte das Gefühl, dass es an der Zeit war, Schadensbegrenzung zu betreiben. Unter keinen Umständen durfte herauskommen, dass er etwas mit dieser Sache zu tun hatte.
Zu seinem eigenen Wohl. Zu Jennys Wohl. Zum Wohle aller.
Er fing mit Jenny an. Niemand wusste, dass sie weg gewesen war. Oder doch, die Mädels bei ihrer Arbeit, aber sonst niemand. Was Jenny selbst wusste, würde nie bis zur obersten Leitung von Lövhaga durchdringen, also stellte sie kein Risiko dar. Selbst wenn sie jemandem bei der Arbeit von ihren unbehaglichen Erlebnissen erzählen würde, würde keiner die Verbindung zu Hinde herstellen. Check!
Die nächste Frage:
Sollte er versuchen, das Rote-Beete-Glas und die Medizinflasche aus der Zelle zu holen?
Das wäre riskant. Außerdem würde man bestimmt glauben, Ralph hätte sie eingeschmuggelt, wenn man sie fand. Denn man würde doch hoffentlich keine Fingerabdrücke von diesen Gegenständen nehmen? Nicht, wenn man bereits einen Verdächtigen hatte, der schon lange im Kontakt mit Hinde gestanden hatte. Natürlich würden alle denken, Ralph hätte ihm geholfen. Es wäre wohl am besten, sich Hindes Zelle fürs Erste nicht mehr zu nähern.
Oder sollte er es doch tun?
Er konnte seine Eigeninitiative unter Beweis stellen, indem er die Zelle durchsuchte. Und diese Sachen «fand». Das würde auch seine Fingerabdrücke erklären, wenn man sie später möglicherweise untersuchte. Andererseits würden sich Ralphs Fingerabdrücke natürlich auf keinen Fall darauf befinden. Vermutlich trug er beim Putzen aber auch
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