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Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Titel: Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Hans Rosenfeldt
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der nächsten Klasse anfangen darf. Seine Mutter sagt, dass er groß geworden ist. Und dass er tüchtig sei. Sie streichelt seinen Arm und nimmt seine Hand. Er ist ihr großer, tüchtiger Junge. Und es gibt eine andere Sache, die er für sie tun soll. Sie packt seine Hand fester und führt sie unter die Decke. In die Wärme. Sie legt sie auf ihren Oberschenkel. Was will sie dort mit seiner Hand? Manchmal wärmt er seine Hände zwischen seinen eigenen Beinen, wenn er friert, doch in diesem Moment friert er nicht.
    «Beim ersten Mal war er gerade acht geworden. Begriff nicht genau, was da passierte. Verständlicherweise. Als es aufhörte, war er achtunddreißig. Zu diesem Zeitpunkt hatte es ihn völlig zerstört.»
    «Ging das dreißig Jahre lang so?» Vanja sah Sebastian skeptisch an.
    «Ja.»
    «Warum hat er sie nicht einfach verlassen? Oder sich dagegen gewehrt?»
    Diese Frage hatte Sebastian schon oft gehört. Warum war Hinde geblieben? Seine Mutter war krank, sie konnte sich nicht groß wehren, und er war erwachsen geworden. Warum ging er nicht einfach? Oder brachte sie um? Oder … irgendetwas anderes?
    «Erst war er zu klein. Dann hatte er zu große Angst. Und dann … war er schon zu weit gegangen.» Sebastian schüttelte den Kopf. «Ich kann das nicht besser erklären, ohne tiefer darauf einzugehen, was uns zu dem macht, was wir sind. Aber das würde in diesem Fall nicht viel helfen. Deine Phantasie reicht nicht aus, um ihr Verhältnis zu verstehen.»
    Vanja nickte nur. Schon möglich, dass Sebastian sie gerade beleidigt hatte, aber das konnte sie verkraften. Sie war froh, sich nicht alles vorstellen zu können, was der Achtjährige durchgemacht hatte.
    «Hat das denn niemand mitbekommen? Hatte niemand einen Verdacht?» Billy beugte sich interessiert vor. «Ich meine, das muss doch auch seine schulischen Leistungen beeinflusst haben und so weiter?»
    «Seine Mutter drohte ihm mit Selbstmord, wenn er es irgendjemandem erzählen würde. Es war ungeheuer wichtig, dass er sich so benahm wie immer, damit niemand Verdacht schöpfte. Wenn er sich auf irgendeine Weise anders verhielt, würden sich die Leute wundern oder etwas merken, dachte er. Merkwürdigerweise wurde er immer ‹normaler›, je länger es ging. Er wurde ein Meister darin, jede nur denkbare Situation zu bewältigen. Dazu war er gezwungen. Wenn er nicht genau darauf achtete, würde sie sterben.

Seine Mutter legt sich bäuchlings aufs Bett und zieht ihr Nachthemd hoch. Ihr Gesicht sieht er nie, sie bohrt es ins Kissen. Anfangs erklärte sie ihm, wie er sich auf sie legen, was er tun und wie er sich bewegen soll. Damit hat sie inzwischen aufgehört. Jetzt schweigt sie. Jedenfalls zunächst. Er weiß genau, wie es vor sich geht. Es gibt keine Abweichungen. Sie ruft ihn, bittet ihn, sich neben sie zu setzen, erklärt ihm, wie tüchtig er sei, wie froh sie sei, ihn zu haben, wie glücklich er sie mache. Dann nimmt sie seine Hand und führt sie unter die Decke. Alles läuft immer genau gleich ab.
Nach einer Weile kommen die Laute. Irgendwo aus der Tiefe des Kissens. Er hasst diese Laute, er wünscht sich, sie würden verschwinden. Sie bedeuten, dass es bald vorbei ist. Was sie da tun, gefällt ihm nicht. Er hat inzwischen verstanden, dass andere Mütter das nicht verlangen. Er mag es nicht. Aber noch weniger gefällt ihm das, was anschließend kommt. Nach den Lauten …
    «Jedes Mal, wenn sie ihn zum Sex zwang, bestrafte sie ihn anschließend. Weil er unrein war. Schmutzig. Er hatte etwas Hässliches und Widerwärtiges getan, und seine Mutter konnte seinen Anblick nicht mehr ertragen.»

Sie hat den Kopf abgewandt, als sie die Tür zu der fensterlosen Kammer unter der Treppe öffnet. Er geht hinein und setzt sich. Mitten auf den kalten Boden. Es hat keinen Zweck, zu weinen oder um Gnade zu betteln. Dann wird es nur noch schlimmer. Länger. Er schlingt seine Arme um die Knie. Wortlos schließt sie die Tür. Seit den Lauten aus dem Kissen hat sie nichts mehr gesagt. Und darüber, ob diese Laute wirklich Worte sind, ist er sich auch nicht sicher. Es ist dunkel. Er weiß nie, wie lange er dort sitzt. Er kann die Uhr nicht lesen, niemand hat es ihm beigebracht. Heute lernen sie es schon in der ersten Klasse. Er kann die ganze und die halbe Stunde erkennen und auch eine Viertelstunde. Aber es spielt keine Rolle, da er ohnehin keine eigene Uhr besitzt. Manchmal denkt er, dass das gar nicht schlecht ist. Hätte er eine Uhr, dann wüsste er, wie lange er schon

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