Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
eingeschlossen ist, und dann würde er vielleicht in Panik geraten. Glauben, sie hätte ihn vergessen. Oder wäre einfach abgereist. Hätte ihn verlassen. So aber verschwimmt die Zeit mit der Dunkelheit. Seine Lehrerin hat ihm einmal erklärt, dass Hunde kein Zeitgefühl haben. Sie wissen nicht, ob sie eine Stunde oder einen ganzen Tag allein waren. In der Dunkelheit ist er ein Hund. Er verliert das Gefühl für die Zeit. Sind es bloß fünf Stunden oder zwei Tage? Er weiß es nie genau. Er freut sich bloß, wenn die Tür geöffnet wird. Wie ein Hund.
Er versteht es nicht. Wird es nie verstehen. Er tut alles, was sie ihm abverlangt, und trotzdem landet er hier. In der Dunkelheit, der Kälte. Es ist nie sein Vorschlag, diese Sache zu tun. Nie seine Idee. Sie ist diejenige, die nach ihm ruft. Ihn ins Bett bittet. Trotzdem kann sie seinen Anblick danach nicht ertragen. Findet ihn schmutzig. Hässlich. Nach einer Weile wird er hungrig, doch der Hunger verschwindet wieder. Der Durst ist schlimmer. Er pinkelt auf den Boden. Er würde es lieber nicht tun, denn er weiß, dass er es anschließend aufwischen muss. Wenn sie wieder öffnet. Wenn die Strafe für das, was er getan hat, abgesessen ist. Bevor sie ihn zurechtweist, dass er es nie wieder tun soll. Manchmal muss er auch groß. Wenn er lange dort ausharren muss, kann er es manchmal nicht mehr zurückhalten. Wenn sie die Tür lange nicht öffnet …
«Irgendwann ließ sie ihn dann heraus. Ihm war verziehen, aber es war trotzdem nicht vorbei. Er sollte an seine Sünden erinnert werden, und damit er es nicht noch einmal tat, kniff sie seine Vorhaut vorne mit einer dieser großen Büroklammern zusammen. Und die Klammer musste er tragen, bis sie ihm sagte, dass er sie wieder abnehmen durfte.»
Sebastian sah, wie alle im Raum das Gesicht verzogen. Billy und Torkel vielleicht ein klein wenig mehr als die Frauen.
«Ich kann mir das nicht vorstellen.» Billy meldete sich erneut zu Wort. «Wie kann all das passieren, ohne dass irgendjemand etwas merkt? Er muss ziemlich oft in der Schule gefehlt haben.»
«Sie meldete ihn krank. Asthma und Migräne. Dennoch war er ein richtig guter Schüler. Immerhin machte er sein Abitur und studierte. Hatte überall Bestnoten. Anschließend suchte er sich eine einfache Arbeit beim Gesundheitsamt, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Er war eindeutig überqualifiziert, korrigierte aber seinen Lebenslauf nach unten. Er pflegte nur oberflächliche Kontakte. Kollegiale. Er hat einen IQ von fast 130, war also auch damals mehr als intelligent genug, ‹normal› zu spielen, aber er war außerstande, engere Beziehungen einzugehen, die Mitgefühl oder echte Emotionen in irgendeiner Form verlangten. Denn dann konnte er entlarvt werden.»
Sebastian machte eine Pause und trank einen Schluck Wasser.
«Seine Mutter starb 1994. Etwas mehr als ein Jahr später suchte Edward den Kontakt zu anderen Frauen. Sein erstes Opfer war eine Arbeitskollegin vom Gesundheitsamt, die offenkundiges Interesse an ihm gezeigt und hin und wieder versucht hatte, mit ihm ins Gespräch zu kommen.
Er wartet. In seiner Hand hat er eine Tasche mit dem Nachthemd und den Strümpfen. Er weiß, dass sie ihn haben will. Sie plant, ihn zu beherrschen. Sie will das weiterführen, was seine Mutter mit ihm getan hat. Das Schmutzige. Das Böse. Sie will ihn zu Handlungen zwingen, die in eine Strafe münden. In Schmerz. In Dunkelheit und Erniedrigung. Das wollen sie alle. Aber er hat nicht vor, das zuzulassen. Nicht dieses Mal.
Er klingelt bei ihr. Sie lächelt. Er weiß, warum. Er weiß, was sie will, aber sie wird sich noch wundern. Diesmal wird er die Kontrolle übernehmen. Sie kommt nicht einmal dazu, ihn hereinzubitten, da schlägt er sie schon. Brutal. Zweimal hintereinander. Er zwingt sie dazu, ihm das Schlafzimmer zu zeigen. Weg mit den Kleidern. Das Nachthemd an. Auf den Bauch legen. Er fesselt sie mit den Strümpfen. Als sie sich nicht mehr bewegen kann, verlässt er das Schlafzimmer. Er nimmt die Tüte mit dem Essen und die leere Flasche, in die er urinieren kann. Er sucht nach dem Ort, wo sie ihn einschließen wird. Er findet ihn im Keller. Außen ein Vorhängeschloss. Innen Dunkelheit. Er stellt die Sachen hinein, die er dabeihat. So wird er die Strafe überstehen. Danach.
«Aber es wird kein Danach geben. Er schneidet ihnen die Kehle durch, weil er seiner Strafe entgehen will.»
Torkels Handy klingelte. Alle zuckten zusammen, als das Geräusch die konzentrierte
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