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Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)

Titel: Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Hans Rosenfeldt
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sehen als die gräulich-bleiche Frauenleiche und das geronnene Blut auf dem Bett.
    Draußen war noch immer ein perfekter Sommertag mit strahlend blauem Himmel. Die sengende Sonne war nach Westen gewandert und schien immerhin nicht mehr mit voller Kraft auf die Wohnung, doch in dem stickigen Zimmer herrschte nach wie vor eine drückende Hitze. Ursula schob vorsichtig die Balkontür auf und trat auf den dunklen Holzboden hinaus. Im Freien war es immerhin etwas kühler. Der Balkon war klein, aber liebevoll gestaltet, und eine große gelbe, prunkvolle Kletterrose rankte aus einem zierlichen Tonkrug empor und an der Balkonwand entlang. Die Rose war gut gepflegt, Ursula war sich ziemlich sicher, dass es eine Leverkusen war. Ihre Mutter Ingrid war eine Rosennärrin gewesen und hatte zwei dieser Exemplare neben dem Eingang ihres Sommerhauses in Småland gepflanzt. Sie hatte versucht, ihre Tochter in die Kunst der Rosenzucht einzuweihen, doch Ursula waren lediglich die Namen einzelner Sorten und der Duft des Blattlaussprays in Erinnerung geblieben. Sie musterte das Mobiliar. Zwei Klappstühle aus Holz standen um den ovalen französischen Cafétisch aus weiß lackiertem Metall. Eine hellblaue Zuckerschale aus Emaille mit einem zierlichen weißen Blütenmuster war das Einzige, das auf dem Tisch stand. Vermutlich würde sie schon bald jemand hochheben und sich fragen, was er mit ihr und dem übrigen Inventar der Wohnung anfangen sollte. Die Dinge, die wir hinterließen.
    Ursula stand am Balkongeländer und blickte auf den Essingeleden und den grünen Wald, der sich dahinter ausbreitete. Sie sah, wie die Autos auf der mehrspurigen Stadtautobahn vorüberflitzten. Drinnen in der Wohnung war ein Leben zu Ende gegangen, draußen rauschte das Leben weiter vorbei. So war es nun mal, das Leben war ein ewiger Strom, den man nicht aufhalten konnte, so gerne man es wollte. Auch wenn es für die Betroffenen schwer zu ertragen war – dort draußen ging alles seinen gewohnten Gang, als wäre nichts passiert. Sie atmete tief ein und füllte ihre Lungen mit Sauerstoff. Dann schloss sie die Augen und dachte nach. Dass es derselbe Mörder war, stand außer Zweifel. Alles stimmte, vom Nachthemd, den Nylonstrümpfen, der klaffenden Wunde quer durch den Hals bis hin zur Vergewaltigung von hinten. Um vollkommen sicherzugehen, hatte sie nach der Vorratskammer gesucht, die von außen verschließbar war. In der Wohnung direkt gab es keine, aber Ursula vermutete, dass sich nicht viel verändert hatte, seit sie selbst vor vielen Jahren einmal in einem ähnlichen Wohnhaus gelebt hatte. Es gab bestimmt einen solchen Raum.
    Und so war es auch. Im Keller. Auf der anderen Seite einer Stahltür erstreckte sich ein langer Korridor mit Betonboden. Alle fünf Meter erleuchtete eine nackte Glühbirne einen kleinen Kellerverschlag aus Holzlatten, die mit Hasendraht bespannt waren. Jeder Raum hatte eine Tür aus ungehobeltem Holz mit einem Riegel. Ein schwacher, aber unverkennbarer Schimmelgeruch lag in der Luft. Die Kellerräume schienen nicht zu dem Bereich zu gehören, um den sich die Immobilienverwaltung in den letzten dreißig Jahren vorrangig gekümmert hatte.
    Ursula lief an den identischen Verschlägen entlang, bis sie die 19 erreicht hatte, die Nummer von Annettes Wohnung. Das Vorhängeschloss war aufgebrochen. Vorsichtig öffnete Ursula die Tür mit einer behandschuhten Hand und spähte hinein. Auch der Kellerraum musste jetzt zum Tatort mit dazugehören. Annettes Verschlag war verhältnismäßig leer. Die meisten anderen, an denen Ursula vorbeigekommen war, waren völlig überfüllt. In Annettes Keller standen lediglich einige Umzugskisten und andere Pappkartons, eine Stehlampe, ein Klapptisch und vier übereinandergestapelte Holzstühle. In der Mitte, auf dem Boden, fand Ursula den akribisch angeordneten Proviant: das Fruchtsoda, die Kekse, die Bananen, die Keksschokolade und die leere Flasche für den Urin. Sie standen in einer perfekten Reihe, in identischem Abstand zueinander. Genau wie an den anderen Tatorten. Selbst ihr als erfahrener Tatorttechnikerin lief plötzlich ein kalter Schauer über den Rücken, was sie den Kollegen gegenüber natürlich nie zugegeben hätte. Aber die Exaktheit, mit der der Täter an jedem Ort dasselbe Arrangement hinterließ, war schlicht beängstigend.
    Vorsichtig kniete sie sich hin, nahm ein kleines Maßband aus Metall zur Hand und maß den Abstand zwischen den einzelnen Gegenständen. Genau, wie sie es geahnt hatte.

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