Die Frauen, die er kannte: Ein Fall für Sebastian Bergman (German Edition)
Rückbank gesetzt hatte und eine Polizistin am Steuer gesessen hatte. Er war damit beschäftigt gewesen, diesen Tag auch nur ansatzweise zu verstehen. Irgendwo auf halbem Weg ließ die lähmende Panik nach, und sein logisches Denken kehrte zurück, worüber er froh war. Er musste funktionieren. Er brauchte seinen Intellekt. Die Situation war extrem. Annette Willén war tot. Ermordet. Die große Frage, die Sebastian kaum zu stellen wagte, war, ob ihm in diesem ganzen Geschehen eine Rolle zuteilwurde. Er hatte mit Annette Willén geschlafen. Kurz darauf war sie ermordet worden.
Er wollte glauben, dass es ein Zufall war.
Eine Laune des Schicksals.
Er wünschte sich nichts lieber als das. Aber wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass der Mörder ausgerechnet Annette Willén wählte? Unerhört gering.
Bisher hatten sie kein geographisches Muster ausmachen können, wonach der Mörder seine Opfer wählte. Eines in Tumba, eines in Bromma, eines in Nynäshamn. Und jetzt Liljeholmen. Die anderen Frauen waren in ihren eigenen Häusern umgebracht worden, zwei größere Einfamilienhäuser, ein Reihenhaus. Und jetzt hatte er in einem großen Mietshaus zugeschlagen. Das bedeutete ein erhöhtes Risiko, entdeckt zu werden, was außerdem dagegensprach, dass es sich um einen Zufall handelte. Leider. Wie Sebastian die Sache auch drehte und wendete, er gelangte immer zu demselben Schluss.
In irgendeiner Weise musste das alles zusammenhängen.
Er und Annette.
Annette und der Mörder.
Sebastian stieg die Treppen zur Reichsmordkommission hinauf, ohne einen richtigen Plan zu haben. Er sollte auf Torkel warten. Aber er wusste nicht einmal, ob er weiterhin würde bei der Gruppe bleiben dürfen.
Er ging zum Besprechungsraum. Hier konnte er immerhin die Tür hinter sich zuziehen und mit seinen fieberhaften Gedanken allein sein. Er stellte sich vor die große Tafel mit den Fotos und Notizen. Betrachtete Billys Chronologie. Die Bilder der früheren Opfer. Bald würde auch Annette Willén dort hängen. Keine der Frauen war direkt jung, alle über vierzig. Vielleicht hatte das etwas zu bedeuten. Ihr Leben hatte eine Geschichte. Das bot Möglichkeiten, auf Muster zu stoßen, die in der Vergangenheit lagen. Er wusste, dass Billy bereits alles durchgegangen war, aber er musste sich ohnehin beschäftigen, bis Torkel kam, und das konnte noch Stunden dauern. Und bestenfalls konnte Arbeit auch die anderen Gedanken verscheuchen. Auf dem Tisch lagen die drei Akten, die sie zurückgelassen hatten, als sie in aller Hast nach Liljeholm aufgebrochen waren. Sie enthielten die gesammelten Informationen über jedes Opfer. Von offiziellen Dokumenten vom Finanzamt und dem Einwohnermeldeamt bis hin zu den Ergebnissen der Spurensicherung und den Protokollen der Verhöre mit Freunden, Familien, Kollegen und Nachbarn. Konnte er etwas darin finden, was niemand vor ihm entdeckt hatte? Die Chancen schienen gering. Dieses Ermittlerteam war das beste Schwedens. Aber er wollte es dennoch probieren.
Er musste es tun.
Er musste versuchen, die Hintergründe zu verstehen.
Also begann er zu lesen. Das erste Opfer. Maria Lie. Sie war relativ frisch von ihrem Mann Karl geschieden, aber die Scheidung war noch nicht durch. In ihrer Akte lag das Protokoll eines Verhörs mit ihrem künftigen Exmann, oder wie man ihn nennen sollte, zehn eng beschriebene Seiten lang. Sebastian begann zu lesen. Karl und Maria Lie waren lange verheiratet gewesen, doch die Ehe war kinderlos geblieben, und irgendwann hatten sie sich auseinandergelebt. Maria Lie arbeitete als kaufmännische Leiterin in einer Personalserviceagentur in der Stadt. Er arbeitete bei Tele 2 und hatte letztes Jahr eine jüngere Frau kennengelernt und eine heimliche Affäre mit ihr begonnen. Dann kamen die Enthüllung, der Krach, das Ende in schneller Folge. Maria Lie hatte Karl seinen Anteil des Hauses ausgezahlt, weil er das Geld brauchte. Seine neue Freundin war bereits schwanger, und die beiden suchten nach einer gemeinsamen Wohnung. Maria Lie hatte gerade beantragt, ihren Mädchennamen wieder anzunehmen, Kaufmann, und sie hatten …
Sebastian stutzte. Las den Namen erneut. Das konnte nicht wahr sein.
KAUFMANN.
K-A-U-F-M-A-N-N.
U rsula war mit dem Fotografieren fertig und wollte nun warten, bis der Rechtsmediziner kam, um die Leiche abzuholen und zu untersuchen. Er hatte sich aufgrund eines schweren Verkehrsunfalls auf der Strecke verspätet, und Ursula ging zum Wohnzimmerfenster, um mal wieder etwas anderes zu
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