Die Frauen von Clare Valley
gebräunte, wenn auch sehr faltige Haut. Natürlich hatte er Falten. Er war ein alter Mann und sie eine alte Frau. »Aber wie hast du das gemacht? Und so rasch? Luke, das fasse ich nicht. Und wo lebt er? Rom? Toskana?«
»Moonee Ponds.«
»Moonee Ponds? Du willst sagen, Moonee Ponds, Melbourne? Aber wie hast du …? Wo ist …?« Ihre Fragen überschlugen sich.
»Es war ganz einfach, Lola. Ich konnte es selbst kaum glauben. Es war fast schon enttäuschend. Als ich erst einmal angefangen hatte, war es eine Sache von Stunden. Das ist heutzutage alles super einfach. Alle Zeitungen sind online, Wohltätigkeitsvereine haben Webseiten, sogar Menschen in deinem Alter sind bei Facebook.«
Ellen hatte Lola das mit Facebook ausführlich erklärt. Lola hatte aufmerksam zugehört, war jedoch hinterher nicht schlauer gewesen. Sie wusste nur, dass es eine sehr zeitgemäße Form der Kommunikation war und furchtbar kompliziert klang. »Alex ist auf Facebook?«
»Nein, nein. Das war bloß ein Beispiel. Ich habe ihn über die Italienisch-Australische Gesellschaft in Melbourne gefunden. Ich musste ein wenig graben – sein Name kommt ja ziemlich häufig vor –, aber dann bin ich auf zwei Fotos gestoßen, eines von vor fünf Jahren, das andere aus dem letzten Jahr, und ich hätte schwören können, das war er. Aber ich wollte es dir erst zeigen, wenn ich mir ganz sicher war. Also hab ich bei der Gesellschaft angerufen. Und da hat man mir seine Nummer gegeben.« Luke platzte fast vor Stolz.
Lola war entsetzt. »Du hast mit ihm gesprochen? Du hast mit Alex gesprochen?«
»Nicht mit ihm. Mit seiner Tochter. Er lebt bei seiner Tochter.«
»Seiner Tochter?« Warum schlug ihr Herz plötzlich so schnell? Warum waren da diese flatterige Unruhe und Aufregung? »Nicht seiner Frau? Du bist sicher, es war die Tochter?«
»Ich bin sicher, Lola. Er ist verwitwet. Seine Frau ist vor fast fünfzehn Jahren gestorben. Nachdem ich seiner Tochter erklärt hatte, wer ich bin und warum ich anrufe, hat sie mir alles erzählt.«
»Und was genau hast du ihr erklärt?«
»An dem Punkt habe ich wohl ein bisschen gelogen. Tut mir leid, Lola. Ich hab mich etwas hinreißen lassen.«
»Luke, was hast du erklärt?«
»Dass ich dein Enkel bin.« Er sprach hastig weiter. »Dass du in einem Pflegeheim lebst und ein wenig wirr im Kopf wirst und hauptsächlich in Erinnerungen lebst und ständig über einen Alex sprichst und dass er dir wohl wirklich wichtig ist und ihr euch vor einer Ewigkeit begegnet seid und du jetzt irgendwas auf dem Herzen hast, was du ihm vor deinem Tod noch sagen willst, und dass ich dir versprochen hätte, alles zu tun, um ihn zu finden …« Luke brach ab. »Es tut mir wirklich leid, Lola. Ich hab mich da ein wenig reingesteigert.«
Es kostete Lola viel Kraft, ruhig zu bleiben. »Nur damit ich das richtig verstehe – du hast Alex gesagt, ich wäre ein wenig wirr im Kopf und in einem Pflegeheim?«
»Nicht Alex, seiner Tochter. Sie war sehr nett, aber sie hatte wohl noch nie von dir gehört.«
Warum versetzte ihr das einen kleinen Stich?
»Aber sie hat alles, was ich von dir weiß, bestätigt. Dass ihr Vater in den Fünfziger- und Sechzigerjahren in Melbourne gelebt hat. Dass er dann für fast dreißig Jahre wieder nach Italien gegangen ist. Außerdem weiß ich jetzt, dass sie dort geboren wurde und er vor etwa zehn Jahren, nach dem Tod seiner Frau, hierher zurückgekommen ist. Er hat eine Weile allein gelebt, doch seit vier Jahren geht es ihm wohl nicht mehr gut, darum ist er zur Familie seiner Tochter gezogen. Nach Moonee Ponds.«
»Er ist invalid?«
»Nein, so hat das nicht geklungen. Ich habe nämlich gefragt, ob ich ihn sprechen könnte, aber angeblich war er unterwegs, Bridge spielen, aber vielleicht war es auch Rasenbowling, jedenfalls hab ich ihr meine Nummer gegeben und um Rückruf gebeten. Er muss doch ziemlich fit sein, wenn er so was kann. Ich mein, Rasenbowling ist nicht gerade Windsurfen und Bridge nicht gerade Bungeejumping, aber …«
»Luke, ich habe verstanden. Hat er zurückgerufen?«
»Nein, noch nicht. Aber ich habe auch deine Nummer hinterlassen. Und er würde doch eher dich anrufen, oder? Sobald er davon hört?«
In dem Moment fiel Lola versehentlich das Handy auf den Boden.
Luke lachte. »Lola, das wolltest du doch, oder? Ich sollte ihn doch finden, damit du mit ihm reden kannst?«
»Nein. Ja. Ich habe nur …«
»Nicht damit gerechnet, dass ich ihn so schnell finden würde? Lola Quinlan, vor dir
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