Die Frauen von Clare Valley
schaffen macht. Und darum ist mir lieber, du kannst in Ruhe darüber nachdenken.«
»Was ist denn? Bist du krank? Lola, was ist los?«
»Ich bin nicht krank, Darling, keine Sorge. Das hätte ich vorausschicken sollen. Niemand ist krank. Es geht uns allen bestens. Nein, es betrifft das Motel. Ellen, du solltest erfahren, dass deine Großeltern es verkaufen wollen. Sie wollen aus Clare wegziehen und irgendwo etwas Neues kaufen.«
»Und was ist mit dir? Gehst du mit?«
»Nein, ich bleibe hier in Clare.«
»Und Carrie und Bett? Bleiben sie?«
»Für den Moment, ja. Aber ich weiß nicht, ob das für immer gilt.«
»Dann ist alles gut.«
»Es macht dir nichts aus?«
»Nein.«
»Wirklich nicht?«
»Ich bin furchtbar gern im Motel, aber es macht mich auch immer traurig.«
»Wird es dir diesmal zu schwer? Ohne deinen Dad zu kommen? Du kannst es dir noch anders überlegen, wenn du Weihnachten doch lieber in Hongkong bleiben willst.«
»Nein!«
»Mir war nur wichtig, dass du vorher Bescheid weißt. Dieser Ort ist für dich mit ganz besonderen Erinnerungen verbunden, und ich wollte nicht, dass es dich unvorbereitet trifft.«
»Nein, mir geht es gut damit. Danke, dass du es mir gesagt hast.«
»Meine Ellen, was für ein gutes, erwachsenes Mädchen.«
»Dad sieht das nicht immer so.«
»Doch. Er mag es nur nicht, wenn du schreist und schmollst.«
»Jetzt fang du nicht auch noch an!«
Lola lächelte. »Bis bald, Darling.«
»Ich kann es kaum erwarten.«
Lola und Glenn buchten Ellens Flug gleich am nächsten Morgen. Sie würde am Tag vor Heiligabend ankommen. Luke hatte sich bereit erklärt, sie in Adelaide abzuholen. Lola fiel es unglaublich schwer, sich Jim und Geraldine oder Bett und Carrie gegenüber nicht zu verraten.
Doch sie wurden alle derart von den Weihnachtspaketen in Anspruch genommen, dass sie wahrscheinlich nicht einmal gemerkt hätten, wenn Lola über Ellen gesprochen hätte. Wie gut, dass das Motel nicht ausgebucht war. Inzwischen waren schon elf der insgesamt fünfzehn Zimmer zum Spendenlager erklärt worden. Und trotzdem hatte Lola Sorge, dass die Pakete für die vielen Anfragen nicht reichten.
Jeder, der morgens den Laden aufschloss, wurde von einem Haufen weißer Zettel empfangen. Manchmal waren es bloß die nötigsten Angaben – Name, Adresse (immer mit dem Zusatz: »vertraulich«), Alter der Kinder. Doch es waren auch herzzerreißende Briefe gekommen, deren Absender detailliert schilderten, mit welcher Mühsal sie zu kämpfen hatten. Lola stimmte das sehr traurig. Von außen wirkte das Valley mit seinen sanften Hügeln, den idyllischen Weinbergen und alten Cottages wie das Paradies auf Erden. Der Lebensstil war ungezwungen, es gab viele Sportmöglichkeiten, schöne Häuser, Geschäfte … Aber kein Mensch und kein Ort auf dieser Welt waren vor Kummer und Leid geschützt. Lola hatte das selbst auf die harte Tour erfahren. Ein Brief war ihr besonders nahegegangen. Er stammte von einem jungen Vater, der mit seinen beiden Kindern allein dastand, nachdem ihn seine Frau wegen eines anderen verlassen hatte. Über diesen Brief hatten sie lange gesprochen.
»Wie kann eine Frau ihre Kinder nur im Stich lassen?«, hatte Kay gesagt.
»Vielleicht war sie wahnsinnig verliebt«, hatte Margaret erwidert. »Vielleicht hat das all ihre Muttergefühle verdrängt. Und vielleicht kommt sie zurück, wenn der erste Rausch einmal verflogen ist.«
»Wie sollen die Kinder ihr das je verzeihen?«, hatte Patricia eingeworfen. »Dass die eigene Mutter sie verlassen hat?«
»Vielleicht ist es ihnen ein Trost, dass ihr Vater sie allein großgezogen hat«, sagte Lola. »Zumindest führt er ihnen ein gutes Rollenbild vor Augen.«
An diesem Morgen hatten sie gerade die neuen Anfragen durchgesehen, als die Tür aufging. Herein kam Mrs Kernaghan. Lola erwartete beinahe dramatische Orgelmusik und Fledermausgekreische. Es war Mrs Kernaghans erster Besuch, seit sie im Fernsehen öffentlich die Lorbeeren für die Spendenaktion beansprucht hatte.
»Ich bitte um Entschuldigung für mein langes Fehlen. Ich musste mich um dringende Angelegenheiten kümmern. Wie läuft es mit dem Aufruf?«
Lola versuchte, Kays Zwicken von der einen und Patricias Knuff von der anderen Seite zu ignorieren.
»Wir werden förmlich überschwemmt, Mrs Kernaghan«, antwortete Margaret. »Wir sind wirklich schockiert, wie viele Menschen in unserer Region Unterstützung nötig haben.« Sie hielt ein Bündel Zettel hoch. »Und das ist nur von
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