Die Frauen von Clare Valley
und Brot wohlbeleibt, auf einer weinbelaubten Veranda, umgeben von rosawangigen Enkeln, rot-weiß karierten Tischdecken, bastbezogenen Weinflaschen … Schluss jetzt, Lola!
Doch falls er noch lebte, falls er bei guter Gesundheit war, dachte er dann je an sie? Hatte er sich je darangemacht, ihr zu schreiben, oder einen computeraffinen Freund gebeten, sie zu suchen?
Sie konnte nicht länger warten. Sie wollte selbst ein wenig recherchieren. In wenigen Minuten nur war der Laptop aufgestellt, mit dem erfreulich zuverlässigen Broadband verbunden, die Seite einer Suchmaschine aufgerufen. Mit zwei Fingern tippte Lola vorsichtig den Namen ein und klickte auf »Suchen«.
Fünfeinhalb Millionen Ergebnisse. Große Güte! Wäre es immer schon so leicht gewesen, ihn zu finden? Sie klickte auf die erste Seite, dann eine weitere, und ihr Optimismus war dahin. Es gab Tausende mit seinem Namen. Lola hatte nicht die nötigen Kenntnisse, unter den Einträgen auszusieben. Und plötzlich auch kein Verlangen mehr danach. Bevor sie noch tiefer in die Fänge des Netzes geriet, schloss sie schnell alle Seiten und machte den Laptop wieder aus.
Es war albern, ständig über Alex nachzudenken, ihn in den Ritter in strahlender Rüstung zu verwandeln, ihren Retter. Ihr war klar, was wirklich in ihr vorging. Das war eine verzögerte Reaktion auf die Pläne, die Jim und Geraldine mit ihr hatten. Denn obwohl sie nach außen hin so unbekümmert getan und gesagt hatte, sie würde sich bei einem Altersheim erkundigen, sie würde gern allein in Clare bleiben, hatte sie in Wahrheit … ja, eine Heidenangst. Früher hatte sie Veränderungen geliebt, ihr abenteuerliches Leben, die ständigen Ortswechsel, die sie vor immer neue Herausforderungen stellten, aber auch ihre Vorteile hatten. Sie hatte auch ihre Enkelinnen zum Reisen ermutigt, ihnen zum 21. Geburtstag sogar Flugtickets geschenkt und sie mehr oder weniger eigenhändig ins Flugzeug gesetzt.
Nun war sie an einem Punkt in ihrem Leben, an dem ihr nicht nach Packen und Neuanfang zumute war. Das Motel war seit zwanzig Jahren ihr Zuhause. Sie kannte hier jeden Winkel, im wahrsten Sinne des Wortes – schließlich hatte sie anfangs noch oft selbst putzen müssen. Dieser Ort barg so viele Erinnerungen, an all die Gäste, an kleinere und größere Festlichkeiten, die Feier zu ihrem Achtzigsten. An die Gespräche mit ihren drei Mädchen, als sie noch gemeinsam hier gelebt hatten und von Zimmer zu Zimmer gezogen waren, um den Gästen auszuweichen. An die vielen Unterredungen mit Jim in der Küche, draußen, unter den Bäumen. An die Plaudereien mit der kleinen Ellen auf der Bank, mit Blick auf den Weinberg, als Bumper, Hausschaf und Rasenmäher, ihr ständiger Begleiter war.
Und erst recht an Anna. Sie war im Motel gestorben, zwei Zimmer weiter. Lola kam jeden Tag daran vorbei. Auch das bot ihr einen Anlass, sich an Anna zu erinnern, obwohl ihr Angedenken hier stets und überall wachgehalten wurde.
Hatten Jim und Geraldine recht? War es an der Zeit, dass sie Annas Erinnerungen ruhen ließen, sich innerlich und geografisch ein Stück davon entfernten? Vielleicht brauchten sie drei den Abstand am dringendsten. Bett und Carrie waren so von der Gegenwart vereinnahmt, sie konnten sich den Luxus, in die Vergangenheit zu reisen, gar nicht leisten, obwohl auch sie unentwegt um ihre Schwester trauerten.
Und was war mit Ellen? Der kleinen Ellen, die sich so gefreut hatte, wieder ins Motel zu kommen? Machte Lola damit einen Fehler? Oder war es richtig, Ellen noch einmal herzuholen, bevor das Motel in andere Hände wechselte und bald die Erinnerungen einer anderen Familie barg?
Lola setzte sich zurück an ihren Schreibtisch und fuhr den Laptop wieder hoch. Diese E-Mail war im Nu erledigt.
Ellen? Bist du da?
Fünf Minuten später kam die Antwort.
Lola! Ja! Und du?
Lola lächelte. Wenn sie doch so mit Anna sprechen, ihr hin und wieder eine E-Mail schreiben und Antwort erhalten könnte, anstelle dieser imaginären Unterhaltungen, bei denen sie beide Stimmen sprechen musste.
Darling, können wir kurz reden?
Klar.
War es an ihr, diese Neuigkeit zu überbringen? Oder sollte sie bis zu Ellens Ankunft warten und es ihr persönlich sagen? Nein. Sie musste handeln – und zwar jetzt! Sie wählte Ellens Nummer und kam gleich zur Sache.
»Darling, es gibt da etwas, was du meiner Meinung nach wissen solltest, bevor du herkommst. Ich könnte damit warten, bis du hier bist, aber es kann gut sein, dass dir das zu
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